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Das Binnen-I und seine Schwestern
Anmerkungen zum Gendern-Schwerpunkt im FALTER 10/21
Inhalt
Der ORF ist vorgeprescht und hat ein veritables Durcheinander auf seinen Seiten und Sendern. Der FALTER scheint zuerst einmal nachzudenken, bevor er einfach irgend etwas lostritt - das wäre gut so. Denn die Meinung, dass es ja nicht weh tue, wenn verschiedenen Formen des „Genderns“ nebeneinander koexistieren, teile ich ganz und gar nicht. Es erschwert das sinnerfassende Lesen der Texte, sich ständig neue Satzteilkonstruktionen an und wieder abtrainieren zu müssen. Es tut weh zusehen zu müssen, wie durch die ständige Betonung des geschlechtlichen Aspekts Inhalte in den Hintergrund gedrängt werden.
FALTER 10/21: Das Binnen-I und seine Schwestern Gendersternchen oder generisches Maskulinum? Ein Überblick über die Möglichkeiten, Geschlechter sprachlich auszudrücken Ab Seite 30 beschreiben verschiedene Protagonisten ihre liebste Form des „Genderns“ – also wie sie Texte so formulieren, dass die Geschlechter gerecht angesprochen und nicht nur „mitgemeint“ werden.
Binnen-I bis Gender-*
Faszinierend, mit welcher Detailverliebtheit die einzelnen Autor*/I/:/_innen
sich mit „ihrer“ Form beschäftigt haben. Aber keiner kam auf die Idee, die Umsetzbarkeit mittels eines zumindest minimal komplexen Satzes zu überprüfen. Holen wir das also nach.
Der folgende – zwar frei erfundene aber im aktuellen Kontext durchaus sinnvolle – Satz …
“Ein Lehrer, der sich nicht rechtzeitig mit den neuen Medien vertraut gemacht hat, wird nun Schwierigkeiten in der Kommunikation mit seinen Schülern haben.”
… wird zu …
“Ein oder eine Lehrer*in, der oder die sich nicht rechtzeitig mit den neuen Medien vertraut gemacht hat, wird nun Schwierigkeiten in der Kommunikation mit seinen oder ihren Schüler*innen haben.”
… oder auch …
“Ein_e Lehrer_in, der oder die sich nicht rechtzeitig mit den neuen Medien vertraut gemacht hat, wird nun Schwierigkeiten in der Kommunikation mit seinen oder ihren Schüler_innen haben.”
Wir sehen schon, einfacher wird die Sprache damit nicht. Kann mensch natürlich trotzdem machen – leicht zu lesen sind solche Konstruktionen aber nicht.
Vor allem aber sind alle diese Formen letztendlich nur eine Abwandlung der zu recht als heteronormativ kritisierten Paarform. Mann und Frau sind immer enthalten und alles andere als irgendwie dazwischen „mitgemeint“ markiert. Eine nachhaltige Lösung schaut echt anders aus.
Generisches Femininum
Diese beiden Probleme hat das generische Femininum nicht. Der obige Beispielsatz würde zu:
“Eine Lehrerin, die sich nicht rechtzeitig mit den neuen Medien vertraut gemacht hat, wird nun Schwierigkeiten in der Kommunikation mit ihren Schülerinnen haben.”
So weit so gut - flüssig zu lesen und zu verstehen. Das Problem, das sich aber stellt: Wir fangen nicht auf der grünen Wiese bei Null an. Wenn wir eine allgemein verständliche Sprache wollen, die nicht nur eine kleine, eingeschworene Gruppe erreicht, haben wir nun jede Menge Rezipienten jeglichen Geschlechts, die den o.g. Satz in einer Mädchenschule mit weiblichem Lehrpersonal verorten werden.
Problematisch ist einerseits, dass Männer sich nicht „mitgemeint“ fühlen könnten, andererseits aber auch, dass Frauen sich fälschlicher Weise exklusiv angesprochen fühlen werden. In einem Text über Täter-Opfer-Ausgleich würde ich eher nicht schreiben wollen:
“Die kaltblütige Räuberin eignet sich also weniger für einen Täterin-Opfer-Ausgleich.”
Dieser Satz benötigt auf der Rezipientenseite sehr viel Aufwand, um ihn in den richtigen Kontext zu rücken: Dass hier mit Täterin alle Menschen gemeint sind, die eine Straftat begangen haben – unabhängig von ihrem Geschlecht, wird nur allzu leicht überlesen. Der Ansatz, für Gruppen in denen Männer überwiegend vertreten sind, dann doch wieder die männliche für die generische Form zu verwenden, ist natürlich Unsinn. Damit würden Pilotinnen noch lange als Piloten adressiert werden.
Der grundlegende Fehler des generischen Femininums ist, dass es eben keine neue, generische Form ist, sondern die bereits existente weibliche Form in eine gänzlich anderen Bedeutung versetzt. Man stelle sich das Chaos vor, wenn wir beschließen würden, ab morgen die Farbe Rot nur noch Blau zu nennen und alles was blau ist dafür als bunt zu bezeichnen.
Die Bildung generischer Formen durch Hinzufügungen ist auch unüblich und damit konter-inituitiv. Die Gattung der Feigenbäume nennen wir Ficus, durch Anhängen von benjamin oder elasticus erhalten wir die spezielle Bezeichnung der Birkenfeige (Ficus benjamin) oder des Gummibaums (Ficus elasticus). Je länger der Name wird, umso spezieller wird die damit gemeinte Pflanze. Es wäre also nicht gerade logisch, aus der Berufsgruppe der Lehrerinnen (jeglichen Geschlechts) durch das Weglassen des Anhangs „-innen“ die rein männliche Gruppe der Lehrer abzuleiten.
Generisches Maskulinum
Man könnte es auch so sehen: Der Begriff Lehrer beschrieb zunächst einmal sehr allgemein Lehrpersonen - welche einstmals vorwiegend Männer waren. Für den Sonderfall, dass eine Frau diesen Beruf ausübte, wurde ein „-innen“ angehängt. Leider waren unsere Vorfahren, als sich diese Formen etabliert hatten, nicht weitsichtig genug, auf der Stelle auch eine exklusiv männliche Form zu schaffen. Seitdem müssen sich männliche Lehrkräfte ihre Berufsbezeichnung mit der generischen Form teilen: Lehrer können, aber müssen nicht männlich sein. Das ist nicht weiter aufgefallen, so lange es Konsens war, Frauen wären im Haushalt besser aufgehoben als im Berufsleben. Da diese Zeiten nun – und das ist ausnahmslos gut so! – vorbei sind, haben wir jetzt das Problem, dass die generischen Formen mit den männlichen fast immer zusammenfallen. Und das ist tatsächlich ein Problem – unter anderem weil sich damit mehr oder weniger subtil eine Art Alleinvertretungsanspruch männlicher Menschen auf viele Tätigkeiten und Funktionen ableiten ließe und dies auch unterschwellig so wirkt.
Spezifisches Maskulinum
Lehrer, Schüler, Taxifahrer, Experte, Täter, …
Lehrerin, Schülerin, Taxifahrerin, Expertin, Täterin, …
Lehrerich, Schülerich, Taxifahrerich, Expertich, Täterich, …
Die Lösung liegt aber meiner Ansicht nach weder darin, durch „kreative“ Abwandlungen der heteronormativen Paarform die Sprache zu verkomplizieren noch in der Umdeutung der bereits etablierten, weiblichen Formen zu einer generischen. Eine nachhaltige Lösung braucht mehr Mut zur Veränderung.
Wir müssten endlich nachholen, was unsere Vorfahren versäumten: Den Männern eine echtes, von der generischen Form abgegrenztes Maskulinum zu verpassen. Ich plädiere also für den männlichen Lehrerich, die weibliche Lehrerin und den geschlechtlich nicht festgelegten Lehrer. Diese oder eine ähnliche Lösung wären fair gegenüber allen Geschlechtern, rückwärtskompatibel mit bestehendem Schriftwerk und würde obendrein wohl dafür sorgen, dass Menschen hinkünftig sich gut überlegen, ob die geschlechtliche Ausrichtung im jeweiligen Kontext wirklich wichtig genug ist, um ausdrücklich markiert zu werden.
Matthias Dusini et alia. FALTER 10/21. Krieg der Sternchen. Das Binnen-I und seine Schwestern.