Varia
... von Ihren Experten für eigentlich eh fast alles.
Richtig falsch gelogen
Warum sich „wahr“ und „richtig“ mitunter nicht vertragen.
„Es kann sein, daß nicht alles wahr ist, was ein Mensch dafür hält, denn er kann irren, aber in allem, was er sagt, muß er wahrhaftig sein.“
In dem vorhergehenden Artikel „Impfstofflügen“ sind wir dem Satz „Sie haben uns angelogen und die Impfung wirkt nicht (gut genug)!“ auf den Grund gegangen. Dabei haben wir uns auf objektiv nachweisbare Fakten zur Frage der Impfwirksamkeit beschränkt. Offen geblieben ist dabei, welche Absichten die der Lüge beschuldigten Personen hatten. Das will ich hier nun nachholen.
Zu lügen bedingt immer auch den Vorsatz der Täuschung. Im Vorsatz unterscheidet sich die Lüge vom Irrtum. Allerdings ist der Vorsatz relativ schwer nachzuweisen, solange wir nicht in die Köpfe der Menschen hinsehen können. Dass deren Nase mit jeder Lüge länger wird, ist bespielsweise nicht richtig – im Kontext eines Märchens aber keine Lüge. Wir sehen also, ob etwas eine Lüge ist, hängt auch vom Kontext ab.
Auch Genauigkeit ist kontextabhängig
Streng genommen ist jede Aussage immer ungenau. Ab wann diese stets vorhandene Ungenauigkeit verfälschend wirkt – wir reden hier noch gar nicht von absichtlicher Verfälschung sondern von „falsch“ im Sinne von „nicht zutreffend“ – hängt stark vom Kontext ab. Und es liegt im Wesen eines Kontextes, nicht ausgesprochen sondern einfach da zu sein. Diesem „einfach da zu sein“ wohnt unvermeidlich die Gefahr inne, dass Sender und Empfänger der Nachricht den Kontext und damit die Nachricht selbst, unterschiedlich wahr nehmen.
Zur Illustration ein Beispiel: Wer als Hobbysportler im Kaffeehaus von seinen sportlichen Leistungen erzählt, wird sich kaum als Schwindler fühlen, wenn er die dabei angegebenen Zahlen tendenziell in die bessere Richtung gerundet wiedergibt. Ein auf einem wissenschaftlichen Kongress Vortragender, sollte das besser nicht tun. Der unterschiedliche Kontext – hier eine Plauderei um sportliche Leistungen, dort ein wissenschaftlicher Fachvortrag – macht den Unterschied und erlaubt dem einen, was dem anderen verboten ist.
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Wechseln wir mit einer oft zitierte Aussage des inzwischen Ex-Kanzlers in die gesellschaftspolitische Sphäre:
„Für die Geimpften ist die Pandemie vorbei!“
Diese wäre mit zahlreichen Einschränkungen, wie „wenn es keine neuen Varianten gibt“ oder „wenn sich genügend Menschen dann tatsächlich auch impfen lassen“ gar nicht so falsch gewesen. Wissenschaftler und Experten hatten sich dann auch vernehmbar gegen diese Behauptung ausgesprochen. Fakt ist damit vor allem eines: Es gab sehr wohl auch immer auffindbare Stimmen, welche die vereinfachende Aussage des Kanzlers relativiert hatten. →profil faktiv
Die Frage, die sich jeder somit stellen sollte, ist, wieviel Recht auf Leichtgläubigkeit er für sich beansprucht, nur um im Falle nicht eingetroffener Vorhersagen eine Beschwerdestelle an der Hand zu haben. Zum „Recht auf Leichtgläubigkeit“ →Putins Lügen und Kants Irrtum
Über des Kanzlers Absichten – es wird geschrieben, er wollte unbedingt der Erstüberbringer der Frohbotschaft sein – könnte ich nur spekulieren. Mit der Empfängerseite, also mir selbst, tue ich ich damit schon leichter: Ich muss ehrlich sagen, dass ich mich in diesem Fall nicht belogen fühlte. Mir war schon klar, dass es sich hierbei um eine vielleicht nett gemeinte aber jedenfalls stark verkürzte „Hoffnungsbotschaft“ handelt, welche auch den an sich ja sinnvollen Appell beinhaltete, sich doch bitte impfen zu lassen. Dafür, dass mit einer besseren Durchimpfungsrate allen geholfen gewesen wäre und einige die Pandemie erst zur Pandemie machenden Maßnahmen uns erspart geblieben wären, gibt es starke Anzeichen. Insofern fände ich es befremdlich, wegen der nicht eingetretenen Prophezeiung, den gefallen Propheten der Lüge zu zeihen.
G’scheit war seine Eile sicherlich nicht und wenn ich bedenken, was der gute Mann davor schon für Unfug getrieben hatte, weine ich ich ihm keine Träne nach. Ob seine Absichten ehrliche waren – er sich also „wahrhaftig geirrt“ oder in täuschender Absicht gelogen hatte, das darf er mit sich selber ausmachen. Gute Lügner überzeugen zuerst einmal sich selber – insofern kann auch beides irgendwie zutreffen. In dem Fall wäre er ein professioneller Lügner gewesen.
Gesellschaftlicher Kontext
Journalisten, wie der allseits bekannte Armin Wolf, gefallen sich darin, ihre Interviewpartner festzunageln, um sie so später besser vorführen zu können. Andere wissen immer ganz genau im Nachhinein, was eigentlich besser gewesen wäre. Ich habe bisher kein Medium gesehen, dessen Redaktionslinie im Laufe der Pandemie stringent gewesen wäre. In Summe entsteht so eine Atmosphäre, in der es sehr schwer geworden ist, differenzierte und damit richtige Informationen zu kommunizieren. Denn richtige Aussagen sind zwangsläufig komplizierter und tendieren somit dazu, unter zu gehen.
richtig ≠ wahr
Damit kommen wir zu einem wie ich meine wichtigen Punkt: Wer richtige Informationen und Aussagen hören will, wird auf die Wahrheit im Sinne endgültig und uneingeschränkt richtiger Vorhersagen verzichten müssen. Oder anders gesagt: Wahrheit und Wissenschaft schließen sich nun einmal aus. Wissenschaft schafft Wissen und keine endgültigen Wahrheiten. Wissenschaftlich arbeitende Menschen müssen ihre Erkenntnisse ständig hinterfragen und irren damit zwangsläufig laufend. Gerade das macht sie aber nicht zu Lügnern, sondern zu jenen Mitmenschen, welche der Wahrheit meist näher kommen, als sonst irgendjemand. Das klingt jetzt paradox und ist es auch, trotzdem ist es wahr.
Bildnachweis
[1] Pinocchio – Zeichnung von Pinzellades al món, Lizenz: CC BY-NC-ND 2.5 ES, https://bibliocolors.blogspot.com