Varia

... von Ihren Experten für eigentlich eh fast alles.


Dialog zum „spezifischen Maskulinum“

Warum aus dem „Expertling“ ein „Expertich“ wird.

Seien Sie gegrüßt, Ingo Lantschner,

das war jetzt gelegenheitshalber ein Test einer geschlechtsneutralen Anrede, die auch nichtbinär funktioniert, was halten Sie davon? Aber deswegen schreibe ich Ihnen nicht, sondern weil ich Ihnen zu Ihrem „spezifischen Maskulinum” gratulieren und mich bedanken möchte: Darauf warte ich schon seit dreißig Jahren! Es kann und konnte eben nicht funktionieren, der Form, aus der mit einem geschlechtsspezifischen Suffix („‑in”) eine spezifisch weibliche gemacht wird, ihre generische Natur abzusprechen, nur weil diese Form in Ermangelung einer spezifisch männlichen auch in den Fällen für Männer verwendet wird, in denen für Frauen die spezifisch weibliche Form Anwendung findet. Die einzig vernünftige Lösung ist ein geschlechtsspezifisches männliches Suffix. Das haben Sie gemacht, und das freut mich sehr.

Bis Juli 2022, also zeitlich vor dem hier wiedergegebene Dialog, bildete ich das Maskulinum gelegentlich auch mit „‑ling“. Und so lautet der Untertitel dieses Blogs damals auch „… von Ihrem Expertling für eigentlich eh fast alles. Allerdings möchte ich einwenden, dass das Suffix „‑ling” nicht geschlechtsspezifisch ist. Ein Häftling, der aus einem Frauengefängnis ausbricht, ist im Zweifel wohl eher weiblichen Geschlechts. Beim „Leserich” haben wir es ja eigentlich mit dem Suffix „‑erich” zu tun, das wir vom Enterich und vom Gänserich kennen. Weil aber von zwei aufeinanderfolgenden „er” eines ausfällt (deswegen „Abenteuerin” und nicht „Abenteuererin”), kommt es zum „Leserich” und nicht zum „Lesererich”. „Ärzterich” wäre also denkbar, und ich würde mich wohl kaum beschweren, falls sich das durchsetzte. Aber mein Vorschlag wäre eher, aus der Not eine Tugend zu machen und das Suffix nicht nur in den häufigen Fällen von Wörtern auf „‑er” zu kürzen, sondern ganz allgemein, also eben auch „Ärztich” oder „Expertich” zu sagen und zu schreiben. Dann gibt’s auch keine Silbenzahldiskriminierung zwischen Frauen und Männern.

Mit freundlichen Grüßen

Wolle Sieberichs


Sehr gerne erwidere ich Ihren Gruß, Wolle Sieberich!

Über Ihre Zuschrift habe ich mich sehr gefreut – danke auch für Ihre konstruktive Kritik! Ihr Vorschlag klingt sehr gut und nimmt meiner bisherigen Praxis ein spezifisches Maskulinum zu bilden den nicht zu leugnenden Anflug von Lächerlichkeit. Im Falle von „Expertling für eigentlich eh fast alles“ geht das ganze ja noch als vielleicht sympathische Selbstironie durch. Aber „Expertling für KfZ-Schäden“ oder „Fachärztling für Lungenheilkunde“ schreibt sich eher niemand freiwillig auf die Visitenkarte. Das klingt arg nach Lehrling.

Ich hab eher beliebig einige Wörter nach diesem Schema durchdekliniert um die Probe auf’s Exempel zu machen:

generisch generisch pl. maskulin maskulin pl. feminin sg. feminin pl.
Arzt Ärzte Ärztich Ärtztiche Äztin Ärztinnen
Experte Experten Expertich Expertiche Expertin Experinnen
Angestellter Angestellten Angestellterich Angestellteriche Angestellte Angestellten
User User Userich Useriche Userin Userinnen
Bauer Bauern Bäuerich Bäueriche Bäuerin Bäuerinnen
Hirte Hirten Hirtich Hirtiche Hirtin Hirtinnen
Krampus Krampuse Krampusich Krampusiche Kranmpusin Krampusinnen
Anwalt Anwälte Anwältich Anwältiche Anwältin Anwältinnen
Lehrling Lehrlinge Lehrlingich Lehrlingiche Lehrlingin Lehrlinginnen

Versuchsweise Anwendung des „‑ich“ Suffixes auf verschiedenste Bezeichnungen: Offensichtlich funktionieren einige dieser Beispiele so nicht – im E-Mail weiter unter erklärt Wolle Sieberichs warum das so ist.

Eine Mehrdeutigkeit ergibt sich nur bei dem ohnedies in Genderkreisen gefürchteten Wort „Angestellter“. Diese würde mich aber nicht stören und ist im Verglich zu dem, was herauskommt, wenn mit „‑innen“ versucht wird Angestellter zu gendern, eine Lappalie.

Hirtich fände ich am gewöhnungsbedürftigsten. Krampusich gefällt mir gar nicht aber das liegt glaube ich nicht so sehr am „-ich“ sondern mehr daran, dass das Gendern in dem Fall schon arg verkrampft wirkt. Einem Krampus ein Geschlecht anzuhängen erscheint mir leicht unpassend.

Lehrling funktioniert mit dieser Regel gar nicht – aber das ist bei der weiblichen Form auch nicht anders, weshalb ja schon seit langem auf „Auszubildende“ ausgewichen wird.

Mit freundlichen Grüßen

Ingo Lantschner


Hallo,

na, das freut mich aber sehr, dass ich Sie so inspiriert habe.

Ihre Probe auf’s Exempel geht über die Fälle hinaus, in denen das weibliche Suffix „-in” verwendet wird. Nur für diese gilt mein Vorschlag. Die anderen muss man sich gesondert vornehmen.

Wörter mit dem Suffix „‑ling” vertragen kein zusätzliches „‑in”, wie Sie ja selbst bemerkten. Dementsprechend auch kein „-ich”. M.E. ist das nicht tragisch – sie sind damit ohnehin geschlechtsneutral. Auch wenn ich weiß, dass das nicht alle so empfinden werden.

Einen weiteren Sonderfall bilden die Singulare der im Plural auf „-leute” endenden Berufsbezeichnungen. Einen „Kaufmann” kann ich nicht als generisch empfinden. Ad hoc kann ich zwar definitionsgemäß korrekt eine handelsgewerbetreibende Person daraus machen, aber das ist Krampf, und sowas wird nicht bei allen „‑leuten” funktionieren. „Kaufmensch” könnte gehen, aber eigentlich wäre ich ja für „das Kaufleut” – es heißt ja auch „das Geschwister”, und sogar „das Elter” steht im Wörterbuch. Natürlich wäre das schon ein ziemlicher Kraftakt.

Und dann sind da all die substantivierten Adjektive (meist eigentlich Partizipien) – Angestellte, Vorsitzende, Angeklagte, Prostituierte, … Die bleiben ihrer Herkunft treu und werden weiter wie Adjektive (und damit weit ausgiebiger als ursprüngliche Substantive) gebeugt. Das bedeutet, dass es im Plural kein Genus gibt, aber im Singular grob gesagt entweder die starke Endung („Angestellter”, „Angestellte”) oder der Artikel („der Angestellte”, „die Angestellte”) das Geschlecht kennzeichnet. Bei „normalen” Substantiven ist es wenig problematisch, dass generische Formen („der Leser”) und spezifisch männliche („der Leserich”) dasselbe Genus haben – Maskulinum. Das hat keine semantische Bedeutung. Aber bei substantivierten Adjektiven markiert einzig das Genus den Sexus. Deswegen kann man da Symmetrie nicht über ein Suffix herstellen, denn das weibliche Geschlecht hat ja auch keins (mal von einigen völlig abwegigen „Grüninnen” abgesehen), es wird einzig über die feminine Endung (oder bei schwacher Deklination sogar nur über den zugehörigen Artikel) markiert. Wenn man jetzt also nicht gleich zur nuklearen Option greift und die generischen Formen im Neutrum verwendet („das Leser” – „die Leserin” – „der Leserich”; dementsprechend „Angestelltes”/„das Angestellte” – „Angestellte”/„die Angestellte” – „Angestellter”/„der Angestellte”), fällt mir da nichts anderes ein als tatsächlich männliches Genus für männlichen Sexus und weibliches Genus für weiblichen Sexus zu verwenden, während man bei generischer Ausdrucksweise dem Adjektiv systematisch ein geschlechtsneutrales Substantiv beifügt – am besten über die drei Genera verteilt: „der angestellte Mensch” – „die angestellte Person” – „das angestellte Individuum”. Natürlich nur, wenn man nicht im Plural formulieren kann.

Mit freundlichen Grüßen

Wolle Sieberichs

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