Varia
... von Ihren Experten für eigentlich eh fast alles.
Wohnen am Parkplatz?
Wohnstraßen sollten den Anrainern als niederschwelliger Treffpunkt oder gar »verlängertes Wohnzimmer« dienen. Doch das gelingt nur selten. Woran liegt das?
In Wien gibt es mehr Wohnstraßen als gemeinhin angenommen, nur schauen sie weder so aus, noch werden sie als solche genutzt. Als der Gesetzgeber in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts die Straßenverkehrsordnung (StVO) um den § 76b ergänzte, erwähnte er ausdrücklich, dass auf der Straße gespielt werden darf. Auch das Schild referenziert auf spielende Kinder. Doch bis heute – 40 Jahre nach Inkrafttreten! – wird dort weder gespielt noch gewohnt. Was ist also schief gelaufen?
StVO § 76b. Wohnstraße
(1) … In einer solchen Wohnstraße ist der Fahrzeugverkehr verboten; ausgenommen davon sind der Fahrradverkehr, das Befahren mit Fahrzeugen des Straßendienstes, der Müllabfuhr, … sowie das Befahren zum Zwecke des Zu- und Abfahrens.
(2)
In Wohnstraßen ist das Betreten der Fahrbahn und das Spielen gestattet.
(3) Die Lenker von Fahrzeugen in Wohnstraßen dürfen Fußgänger und Radfahrer nicht behindern oder gefährden, haben von ortsgebundenen Gegenständen oder Einrichtungen einen der Verkehrssicherheit entsprechenden seitlichen Abstand einzuhalten und dürfen nur mit Schrittgeschwindigkeit fahren.
Weitaus häufiger als Kinder, verirren sich Kfz-Lenkende auf Wohnstraßen, weil sie immer noch nicht wissen, dass sie dort eigentlich nicht fahren dürfen. In Gassen, die Einbahn und Wohnstraße zugleich sind, kommt es laufend zu der folgenden kuriosen Situation: Gegen die Einbahn fahrende Radler, werden von einem sich an der Durchfahrt behindert fühlenden Autofahrer angehupt: Dieser Autofahrer ignoriert gleich drei Regeln:
- darf er im Stadtgebiet nur Hupen, um einen Unfall mit Personenschaden abzuwenden.
- darf er selber gar nicht durchfahren
- dürfen in einer Wohnstraße Radfahrer auch gegen die Einbahn fahren (und wenn sie lustig sind, auch im Kreis) .
Wohnen am Parkplatz?
StVO § 23(2a)
In Wohnstraßen … ist das Parken von Kraftfahrzeugen nur an den dafür gekennzeichneten Stellen erlaubt.
Wenn Wohnstraßen als »Straßen mit so einem komischen Schild« wahrgenommen werden, so liegt das an ihrer Gestaltung – vor allem an den Parkstreifen links und rechts. Wohnen zwischen zwei Parkspuren? – das kann nicht funktionieren. Das muss sich auch der Gesetzgeber gedacht haben, denn in Wohnstraßen sollten eigentlich gar keine Autos mehr parken.
Die zahlreichen, Be- und Durchfahrungen hat die Stadtverwaltung zu verantworten, wenn sie dort Parkplätze ausdrücklich kennzeichnet. Damit führt sie die eigentlich sinnvolle Einrichtung Wohnstraße ad absurdum. Die zwischen den zwei Parkspuren eingeklemmte Fahrbahn ist so unwohnlich, dass viele Autofahrende gar nicht mitbekommen, wo sie eigentlich sind. Spielenden Kinder gibt es nur am Schild – kein Elter traut sich, sein Kind auf eine solche Straße zum Spielen zu schicken.
Lösung durch Farbe?
Nun soll in Mariahilf die Fahrbahn der Haydngasse bunt behübscht werden, in der Hoffnung, die Autos damit zu vertreiben. Wir können auf die Erfahrungen mit ähnliche Versuche in anderen Bezirken Wiens zurück greifen. Zwei davon wurden mir bisher zugetragen:
Staglgasse
Die Staglgasse im 15. Bezirk wurde 2015 knallbunt bemalt. Die filmisch festgehaltene Eröffnung durch die damalige Fußgängerbeauftragte Petra Jens ließ schon erahnen, dass dieser Idee keine große Zukunft beschert sein wird: Ein von ihr angesprochener Autolenker erwidert, er sei »nur« auf Parkplatzsuche. Deutlicher kann man es fast nicht mehr demonstrieren: Sobald öffentliche Parkplätze in der Wohnstraße aufgemalt werden, ist das Durchfahrtsverbot zahn- und sinnlos. Das viele Blau, die bunten Punkte verkommen zu nutzlosem Schnickschnack. Das Rollermädchen vom Fototermin fährt im echten Leben natürlich am Gehweg.
»Links und rechts Parkplätze, der einzig vorhandene Baum schaut verschämt um die Ecke… Meiner Meinung nach ist das keine Wohnstrasse sondern ein dekorierter Parkplatz.«
Inzwischen wurde die Fahrbahnbemalung entfernt und die Staglgasse zu einer Fußgängerzone umgebaut.
Nibelungenviertel
Einmal mehr im 15., im Nibelungenviertel rund um den Kriemhildplatz, hat man es mit ein paar aufgemalten Blumen am Asphalt probiert. Laut einem mit den Gegebenheiten vertrauten Informanten »ohne spürbare Wirkung auf die Anzahl unerlaubt durchfahrender Kfz«. Immerhin stehen dort temporär Sessel und Wohnstraße-Schautafeln von der Initiative Space and Place in der Parkspur – wenig überraschend ungenutzt. Bei genauer Betrachtung entdecken wir übrigens erstmals ein Kind, das zwischen den Schrägparkern links in Richtung Fahrbahn lugt. Ob so das »Spielen auf der Wohnstraße« gedacht war?
Parkplätze verursachen Autoverkehr
Aus den bisherigen Erfahrungen würde ich die Schlussfolgerung ziehen, dass die Stadtverwaltung, anstatt zusätzliche Farbe auf den Asphalt aufzutragen, besser daran täte, die vorhandenen weißen Striche zu entfernen. Es sind diese Linien (und der sie begleitende Schilderwald), die zum Problem des Zu- und Durchfahrens führen. Das Fehlen ausdrücklich ausgewiesener Parkplätze würde bedeuten, dass dort keine Kraftfahrzeuge abgestellt werden dürfen. Damit fahren wirklich nur noch jene zu, die dort etwas abzuladen haben, jemanden aussteigen lassen oder über eine Hausgarage verfügen. Damit könnte die in den 80er Jahren gesetzlich ermöglichte Vision der Wohnstraße als Ort niederschwelliger Begegnung endlich Realität werden.
Positivbeispiel Bernardgasse?
In Wien-Neubau (7. Bezirk) wurde mit dem Umbau der Bernardgasse meines Wissens erstmal konsequent umgesetzt, was der Gesetzgeber damals beabsichtigt haben dürfte. Abgesehen von Haltezonen, Ladezonen und Behindertenparkplatz gibt es nach dem Umbau dort keine öffentlichen Stellplätze mehr.
Im Falle der Haydngasse in Wien-Mariahilf argumentiert die Bezirksvorstehung mit den hohen Kosten für einen Umbau und präferiert daher die freilich kostengünstigere Fahrbahndeko. So begrüßenswert der sorgsame Umgang mit Steuergeldern ist, so sehr stellt sich doch die Frage, warum es überhaupt einer baulichen Veränderung bedarf? Nach sorgfältiger Lektüre der StVO erweist sich der Abbau des Schilderwaldes als die kostengünstigste Lösung überhaupt! Denn ohne diese Verkehrsschilder und die dazu passenden Bodenmarkierungen gäbe es weder Parkplätze noch den damit einhergehenden Parkplatzsuchverkehr in der Wohnstraße.
Weitere Artikel aus der
Kategorie Wien
Sonntagsspaziergang zum Thema »Littering«
Ein Positivbeispiel das Rätsel aufgibt.