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Taylor Swift, Social Media und der Überwachungsstaat
Nach der Absage der Taylor-Swift-Konzerte in Wien werden Überwachungsmaßnahmen als Lösung präsentiert. Nicht in Frage gestellt wird das Geschäftsmodell der Radikalisierungsplattform TikTok. Dabei wurzelt genau dort das Übel.
„Es ist so ungerecht“, sagten die Mädchen am Abend, kurz nach der Absage, die Tränen sind langsam getrocknet, die Cowboystiefel stehen in der Ecke.
Und plötzlich waren sie da, unübersehbar in meiner Timeline genauso wie im Alltag: Taylor Swift und ihre Swifties. Unmittelbar danach hagelte es Zeitungsartikel, in denen die Konzertabsage zu einem hochdramatischen, regelrecht traumatisierenden Ereignis und die Künstlerin zur Feminismusikone hochstilisiert wurden. Das kann man gerne so sehen, mir persönlich erscheint eine Konzertabsage für ein »einschneidendes« Erlebnis aber dann doch etwas wenig.
Was mich aber wirklich erstaunt: Ein ganzer Staat knickt ein, weil sich ein paar Heranwachsende einen Anschlag in den Kopf gesetzt hatten. Gleich drei Konzerte mit jeweils 65.000 Besuchern werden abgesagt. Der finanzielle Schaden geht in die Millionen, die Verunsicherung der Bevölkerung ist erheblich. Dass so etwas eigentlich nicht passieren darf, scheint Konsens zu sein. Dass es dennoch geschah, könnte auch daran liegen, dass die bockigen Ösis bisher keine Messenger-Überwachung auf’s rot-weiß-rote Aug sich haben drücken lassen. Und nun wird Überwachung als einzige Lösung und unumgänglich präsentiert, um solche Gefährder frühzeitig aus dem Verkehr ziehen zu können. Ich darf jene, die so denken, einladen, mit mir einen Schritt zurück zu tun, um trotz des politmedialen Getöses, den Überblick wieder herzustellen.
Woher kommen diese Terroristen?
Bekanntlich werden Menschen nicht als Terroristen geboren, sondern entwickeln sich im Laufe ihres Lebens zu einem solchen. Es gibt viele Faktoren dabei. Das Elternhaus, die Religion, persönliche Erlebnisse, Schule, Gewalterfahrungen. All das kann im Rückblick nicht verändert werden. Gegenwärtige Faktoren aber sehr wohl. Und hier wundert mich, dass die Rolle, die soziale Medien, hier konkret TikTok, bei der Radikalisierung gespielt haben, so wenig Beachtung finden. Denn statt die Radikalisierten durch Überwachung aller erst einmal ausfindig zu machen, dann aufwendig vor Gericht zu stellen und sie schlussendlich jahrelang sicher zu verwahren, wäre es vielleicht sinnvoller, deren Radikalisierung von vornherein zu unterbinden.
Welche Rolle spielen »Soziale Medien« bei der Radikalisierung?
Vermutlich ein große, denn zur Gewalt neigende Religionen sind genauso wenig neu, wie kriegstraumatisierte Personen oder marode Familien. Was es aber erst seit kurzem gibt: Soziale Medien, welche mittels stündlich sich selbst optimierender Algorithmen eine Blase nach der anderen schaffen, in denen wirre Ideen und irre Vorhaben normal und vernünftig erscheinen. Warum also nicht, das den Blasen-Maschinen zugrunde liegende Geschäftsmodell der verhaltensbasierten Werbung an die kurze Leine nehmen, statt einmal mehr Grund- und Freiheitsrechte aufzuweichen? Auch wer den aktuell Verantwortlichen vertraut, möge bitte überlegen, ob es klug ist, einem vielleicht eines Tages ins autoritäre kippenden Regime Überwachungsinstrumente in die Hand zu geben, mit denen es uns alle lückenlos überwachen kann? Dass solche Überlegungen nicht einmal im Ansatz angestellt wurden, verwundert mich auf’s Äußerste und lässt mich einmal mehr an der Medienkompetenz unserer Politiker und Journalisten zweifeln.
Soll TikTok verboten werden?
Nein natürlich nicht, genauso wenig wie Twitter, Facebook, WhatsApp oder Google. Was aber zumindest geregelt werden muss, ist die Art und Weise, wie diese Konzerne ihr Geld verdienen. Deren Cashcow ist der Verkauf unserer Verhaltensmuster an den Meistbietenden. Damit sind sie in die Lage, ganze Gesellschaften zu manipulieren. Entsprechend viel zahlen sie dafür. Dieses – die Demokratie gefährdende! – Geschäftsmodell gehört dringend reguliert oder gleich ganz verboten. Die Plattformen können gerne bestehen bleiben – wenn auch mit verändertem Geschäftsmodell.
Wie hängen verhaltensbasierte Werbung und Radikalisierung zusammen?
Ein soziales Medium, das sich über verhaltensbasierte Werbung finanziert, muss die Aufmerksamkeit seiner Nutzer an die Plattform binden. Je mehr Zeit ein Benutzer auf der Plattform verbringt, um so öfter kann dessen Aufmerksamkeit an Werbekunden verkauft werden. Um erfolgreich zu sein, muss die Plattform das Suchtverhalten ihrer User fördern. Starke Gefühle – niedliche Katzen genauso wie Feindbilder, die bereits bestehende Vorurteile verstärken – helfen der Plattform beim User Engagement und werden daher von den Algorithmen bevorzugt in die Timelines eingespielt. Es besteht also ein direkter Zusammenhang zwischen der Tendenz radikalisierende Inhalte zu verbreiten und Behavioural Advertising.
Dieses auch in anderer Hinsicht problematische Geschäftsmodell an die kurze Leine zu nehmen, bedeutet wiederum nicht, Überwachungsmaßnahmen auszusetzen. Doch die nun von der ÖVP geforderte Ausweitung der Überwachung erscheint einseitig und der Komplexität des Problems nicht angemessen zu sein. Die Rolle radikalisierender Plattformen sollte spätestens jetzt unter die Lupe genommen und berücksichtigt werden. Denn eine »wehrhafte Demokratie« (© Karl Nehammer) muss sich auch gegen mächtige Social-Media-Konzerne wehren, wenn deren Geschäftsmodell zur Gefahr wird.
Quellen
Rosa Schmidt-Vierthaler. Warum die Absage des Taylor-Swift-Konzerts kein „Champagne Problem“ ist 🌐
Eva Winroither. Gefahr durch ein Spielzeug namens TikTok 🌐
Die Presse/APA. ÖVP macht Messenger-Überwachung zur Koalitionsbedingung 🌐
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