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Bluesky statt Twitter: Die nächste Sackgasse?
Der Wechsel von Twitter zu Bluesky mag verlockend klingen, doch hinter der neuen Plattform lauern alte Probleme. Warum Journalisten diese Systemfehler übersehen, bleibt ein Rätsel.
Es hat ein bisschen gedauert, aber jetzt ist es soweit: Mit Armin Wolf, Corinna Milborn oder Florian Klenk kehren einige der populärsten Journalisten Österreichs Twitter den Rücken und wechseln auf die nächste kommerzielle Plattform Bluesky. Doch dieser »eXit« kommt nicht nur spät – er zeigt auch einen erschreckenden Mangel an Medienkompetenz auf. Besonders erstaunlich finde ich, dass die als Internet-Expertin gehandelte Ingrid Brodnig nicht von Anfang an erkannt hatte, dass sie auf einer geschlossenen Plattform Teil des Produktes und nicht Kundin ist.
Bluesky wird gerne als die »bessere Alternative« zu Twitter gefeiert. Die Plattform verspricht ein freundlicheres Miteinander, weniger Chaos und – für die Tech-Affinen – sogar eine dezentrale Struktur. Doch so dezentral wie behauptet ist Bluesky nicht. Die Plattform gehört jemandem. Ihre Nutzer sind nicht ihre Eigentümer, und ihre Follower schon gar nicht.
Warum Bluesky das Internet-Prinzip verletzt
Das ursprüngliche Konzept des Internets sah ein offenes, dezentrales Netzwerk, ohne zentrale Kontrolle oder Abhängigkeiten von großen Konzernen vor. Bluesky widerspricht genau diesem Prinzip.
Denn was passiert, wenn ein Journalist auf Bluesky aktiv wird und sich dort seine Followerbasis aufbaut? Diese Follower gehören nicht ihm – sie sind Teil des Produkts Bluesky. Und wie alle Produkte wird Bluesky seine Benutzer irgendwann monetarisieren müssen. Vielleicht nicht schon morgen, aber die Logik ist klar: Die Verhaltensdaten der Nutzer werden zum zentralen Geschäftszweck.
Das ist kein Problem, das nur Bluesky betrifft. Es ist ein grundlegender Designfehler im Zusammenspiel von proprietärer Plattformarchitektur und den Zwängen eines profitorientierten Wirtschaftssystems. Plattformen wie Twitter und Bluesky haben einen inhärenten Konflikt: Sie müssen als Produkte profitabel sein, was unweigerlich zu den gleichen Algorithmen, Datensammlungen und Abhängigkeiten führt, die uns Twitter jetzt so unerträglich gemacht haben. Wie lange wird es dauern, bis Bluesky die Daten seiner Nutzer auswertet, um gezielte Werbung oder Empfehlungen anzubieten? Diese Entwicklung ist unvermeidlich, wenn ein Geschäftsmodell auf Wachstum und Gewinnmaximierung angewiesen ist.
Die Blindheit gegenüber Systemfehlern
Was an diesem »eXit« besonders erstaunt: Ausgerechnet Journalisten – Menschen, die Zusammenhänge kritisch durchleuchten und komplexe Themen auf den Punkt bringen sollten – erkennen nicht, dass sie wieder auf ein Plattformmodell setzen, das sie früher oder später in dieselbe Sackgasse führen wird.
Klar, die Verlockung ist groß: Bluesky ist derzeit klein, exklusiv und fühlt sich nach einem frischen Start an. Doch die strukturellen Probleme bleiben. Und genau hier drängt sich die Frage auf: Warum fehlt gerade Journalisten das Gespür dafür, dass auch Bluesky nicht die Antwort auf die Plattformkrise ist?
Gibt es eine Alternative?
Die eigentliche Alternative liegt nicht in der Flucht von einer Plattform zur nächsten, sondern in wirklich dezentralen Lösungen. Fediverse https://tour.fediverse.at -Dienste wie Mastodon https://joinmastodon.org zeigen, dass ein anderer Weg möglich ist – ein Weg, bei dem Nutzer ihre Daten und Netzwerke wirklich selbst kontrollieren können. Ja, das bedarf anfangs etwas mehr Beschäftigung mit der Materie und der Aufbau einer Followerbasis geht mangels Algorithmen langsamer vor sich. Aber Bequemlichkeit gepaart mit Ungeduld hat uns genau an den Punkt geführt, an dem wir jetzt stehen.
Der Wechsel von Twitter zu Bluesky ist kein »eXit«, sondern ein Umzug innerhalb desselben Systems. Wer die Fehler von Twitter vermeiden will, muss den Mut haben, sie an der Wurzel zu bekämpfen. Was wir jetzt brauchen, sind echte Dezentralisierung und offene Plattformen – damit soziale Medien dem Gemeinwohl dienen, anstatt einige wenige reich zu machen und unser Gemeinwesen zu gefährden.
Quellen:
Wikipedia. Bluesky 🌐
Armin Wolf. #eXit: Twitter ist leider kaputt 🌐
Nachlesen
BlueSky dezentral betreiben?
Nach Veröffentlichung dieses Beitrags erreichten mich einige Hinweise, wie Bluesky dezentral betrieben werden könnte und welche Einschränkungen dies mit sich brächte. So wäre – um bei Armin Wolf als Beispiel zu bleiben – ein Handle wie armin.wolf@bsky.orf.at
durchaus möglich. Folgend eine Liste für mich zum gelegentlichen Nachlesen oder alle anderen, die sich berufen fühlen, dem nachzugehen.
→ Homepage des BlueSky zu Grunde liegenden Atmosphere Protokolls
→ Blog von Gavin Anderegg (Softwareentwickler) Maybe Bluesky has “won”
Verschiedenes
Heinz Wittenbrink schreibt in seinem Blog ausführlich über den »eXit«, seinen Nachhall und warum er ihn für nicht nachhaltig hält. Eine zentrale Rolle in seiner Argumentation spielen dabei die wirtschaftlichen Hintergründe von BlueSky.
→ Kann man die Twitter-Uhr zurückstellen? Zum Bluesky-Hype im österreichischen Journalismus
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