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Zwischen Gefühl und Fakten: Die Debatte um das Radfahren auf der Mariahilfer Straße auf Basis von Antworten aus der Bezirkspolitik

Auf der Mariahilfer Straße steht wieder eine Grundsatzfrage im Raum: Soll Radfahren in der Fußgängerzone erlaubt bleiben – oder ist das Risiko für Zufußgehende zu hoch?

Inhalt

Ein Versuch, Ordnung in das Wirrwarr rund um die Fahrradsperre auf der Mariahilfer Straße zu bringen – gestützt auf konkrete Fragen und Antworten aus der Politik. Vorgangsweise: Jedem zitierten Politiker wurde noch vor Veröffentlichung die Möglichkeit gegeben, den fertigen Text gegenzulesen, um allfällige Missverständnisse oder -Interpretationen auszuräumen.

Wie alles begann

Auslöser war ein Mehrparteienantrag des Mariahilfer Bezirksparlamentes vom 11. September 2025, der die Ausnahme für das Radfahren in der Fußgängerzone in Frage stellt. Medien griffen das Thema auf und prophezeiten schon das »Aus für’s Radfahren auf der Mahü«.

Antrag des Bezirksparlamentes zur Evaluierung Verkehrssicherheit Mariahilfer Straße vom 11. September 2025

🏳️‍🌈 →„Gendern“ - geschlechterbewusster Sprachgebrauch Ich persönlich teile das Ziel, schwächere Verkehrsteilnehmer🏳️‍🌈 besser zu schützen, habe aber Zweifel, ob ein Radfahrverbot auf einer Route des Hauptradverkehrsnetzes ein sinnvolles und verhältnismäßiges Mittel ist.

Also habe ich einen ausführlichen Fragenkatalog an alle Fraktionen im Bezirk geschickt, die den Antrag unterstützt hatten: SPÖ, ÖVP, NEOS, FPÖ – plus zur Info an Grüne und Links. Es geht darin um Unfallstatistik, Alternativrouten, bisherige Maßnahmen, Lieferverkehr und auch um Menschen, für die das Rad kein Sportgerät, sondern eine Mobilitätshilfe ist.

Zahlen und Bauchgefühl

Ein Kernpunkt meiner Anfrage ist der Widerspruch zwischen gefühlter und gemessener Gefahr. Laut offizieller Statistik sind die Unfälle mit Personenschaden auf der Mariahilfer Straße von 51 (2012) auf 18 (2023) gesunken – also rund 65 Prozent weniger –, gleichzeitig ist im Antrag von einer »Vermehrung gefährlicher Situationen« die Rede.

Genau das habe ich abgefragt: Handelt es sich um dokumentierte Fälle oder um diffuse Wahrnehmungen und Hörensagen? Wer gefährdet wen, wo und in welcher Art – und bei welcher Stelle wurden diese Beschwerden eigentlich eingebracht?

Konkret wollte keine der Fraktionen meine detaillierten Fragen zur Zahlenbasis beantworten. Allerdings ging aus den Antworten eindeutig hervor, dass es sich primär um eine gefühlte Gefährdung handelt, die letztendlich nicht schlagend wird und daher in Unfallstatistiken gar nicht aufscheinen kann. Das macht sie nicht harmlos, bedingt aber naturgemäß andere Lösungen, als Unfälle, die im Spital enden.

Die berühmten Alternativrouten

Besonders skeptisch bin ich bei der Behauptung, »verkehrssichere Alternativrouten« stünden ausreichend zur Verfügung. In meinen Mails frage ich deshalb sehr konkret: Wie fährt man vom Westbahnhof ins Museumsquartier, nach Gumpendorf oder mit Kindern zur Schule, wenn die Mahü als Radachse wegfällt?

Ich verweise auf die Gumpendorfer Straße als Angststrecke laut Potentialanalyse, auf die problematische Burggasse und auf die blockierte Lindengasse, die erst nach Ende der U-Bahn-Baustelle als Entlastung denkbar wäre. Parallel frage ich, warum seit Jahren diskutierte Einbahnöffnungen wie Windmühlgasse und Worellstraße nicht längst umgesetzt sind, wenn Radverkehr tatsächlich auf Alternativrouten gelenkt werden soll.

Radausflug rund um die Mahü – was können die von der Politik vorgeschlagenen Umfahrungen? Keine der Fraktionen konnte eine wirkliche Alternative nennen. ÖVP und FPÖ haben diese Frage mehrfach ignoriert, Josef Kaiser-Zeisel (SPÖ) zeigte sich mit den prinzipiell möglichen Umfahrungen immerhin vertraut. Allerdings führen diese allesamt großräumig um die Mahü herum. Kleinräumige, verkehrssichere Alternativen müssten auch seiner Ansicht nach erst geschaffen werden. Das ist insofern bemerkenswert, als im Antrag ausdrücklich von »sicheren geeigneten Alternativrouten« die Rede war.

Barrierefreiheit auf zwei Rädern

Ein wichtiges Anliegen ist mir die Sicht jener, für die Radfahren Voraussetzung für Teilhabe ist: ältere Menschen, Menschen mit Gehbehinderung, Nutzer von Spezial- und Dreirädern oder Rollstuhl-Lastenrädern. Internationale Studien bestätigen, dass Radfahren für viele die einzige realistische Möglichkeit ist, längere Distanzen selbstständig und ohne Auto zu bewältigen.

In meinen Fragen konfrontiere ich die Fraktionen damit, wie sie jemandem erklären wollen, dass dieser Personenkreis künftig mit dem Rollator statt mit dem Rad einkaufen gehen soll – während Lastwagen dieselben Engstellen weiterhin befahren dürfen. Für mich ist das eine Schlüsselfrage: Wie passt ein Radfahrverbot zum Anspruch, verkehrsschwache Gruppen zu schützen, wenn genau diese Gruppen betroffen sind?

Wie schon meine Fragen zu den Alternativrouten, wurden die Fragen zur Barrierefreiheit von ÖVP und FPÖ ignoriert. Der SPÖ-Mobilitätssprecher nahm dem Hinweis immerhin dankend und als für ihn neu entgegen.

Was die Parteien sagen – und was nicht

Viele Antworten sind bislang ausweichend oder sehr knapp gehalten; oft wird auf laufende Prüfungen verwiesen oder intern weitergeleitet. NEOS wollte sich dazu gleich gar nicht erklären.

Am deutlichsten hat sich bisher FPÖ-Klubobmann Lukas Korp geäußert: Er betont, dass Radfahren in einer Fußgängerzone immer Ausnahme sei, beruft sich stark auf subjektive Unsicherheitsgefühle und kritisiert generell das Verkehrskonzept der Stadt als ideologisch und fehlerhaft. Schritt­ge­schwin­digkeit: Schutz oder Schikane? Sowohl Korp als auch sein Kollege Marcel Flitter von der ÖVP kritisieren konkret, dass Radfahrer auf der Mariahilfer Straße häufig zu schnell fahren würden. Korp betont ausdrücklich, dass das Überschreiten der Schrittgeschwindigkeit ein sehr reales, nachweisbares Problem sei. Eine eigene Radspur zur Entflechtung lehnen ÖVP und SPÖ ausdrücklich ab.

Mit Josef Kaiser-Zeisel, SPÖ-Mobilitätssprecher im Bezirk, konnte ich ein sehr offenes Gespräch führen. Er berichtet, ältere Menschen würden die Mahü wegen zu hohen Tempos und geringer subjektiver Sicherheit meiden, sieht aber eine Möglichkeit zur Entschärfung ab 2028, wenn die Engstelle Kirchengasse wegfällt und die Lindengasse als Umfahrung öffnet.

Weitere Details aus dem SPÖ-Gespräch

Im Gespräch erfahre ich, dass Navigations-Apps Radfahrende immer noch standardmäßig über die Mahü schicken – ein Hinweis darauf, wie tief die Straße im Routennetz verankert ist.

Eine eigene Markierung oder Radspur lehnt die MA 46 laut Kaiser-Zeisel ab, weil sich Radfahrende zu sehr darauf verlassen würden und in weiterer Folge eher zu mehr Unfällen führen könnte.

Neu für mich war sein Kompromissvorschlag: Radfahren wäre außerhalb der Zeit von 12 bis 17 Uhr weiterhin erlaubt, also vor allem in den Tagesrandzeiten. Gleichzeitig verweist er darauf, dass es bereits jetzt Ausweichbewegungen im Radverkehr wegen des »Gewurrls« gäbe und kündigt neue Einbahnöffnungen u.a. in der Stumpergasse an. Diese könnten helfen, den Radverkehr von der Mahü auf die Gumpi umzuleiten.

Geöffnete Einbahnen sollen Radverkehr umleiten

Kaiser-Zeisel kündigt auch zahlreiche Einbahnöffnungen an – sympathischer Weise gleich mit einem Datum:

  • Stumpergasse voraussichtlich 2026 im Zuge der Verlegung der 57A-Haltestellen
  • Windmühlgasse, vollständige Öffnung von Barnabitengasse bis Theobaldgasse/Mariahilfer Straße 2026
  • Filgradergasse 2026-2027
  • Theobaldgasse 2027

Diese sind durchaus geeignet, Teile des Radverkehrs von der Mariahilfer Straße auf andere Routen umzuleiten

Lieferverkehr und Wirtschaftslogik

In meinen Schreiben spreche ich auch den gewerblichen Radverkehr an: Sollen Cargobikes weiterhin fahren dürfen, und wenn ja, wie wird das kontrolliert? Ich stelle bewusst die Frage, wie man Betrieben erklären will, dass sie vom emissionsfreien Lastenrad wieder auf Lastwagen umsteigen sollen, nur weil Räder an einer Engstelle als Störfaktor wahrgenommen werden.

Damit verknüpft ist die grundsätzliche Verhältnismäßigkeit: Warum darf ein Lastwagen eine FuZo befahren, ein Fahrrad aber nicht – wo doch Letzteres im Konfliktfall das deutlich geringere Schadenspotenzial hat?

Die Antworten darauf sind bisher eher vage geblieben. Lukas Korp meinte lediglich, die meisten lokalen Gewerbetreibenden wären froh, wenn diese Fußgängerzone nie gekommen wäre, Marcel Flitter verweist auf andere Fußgängerzonen.

Wohin die Debatte aus meiner Sicht muss

Wenn ich die bisherigen Rückmeldungen zusammensetze, sehe ich auf der einen Seite reale(!) subjektive Unsicherheiten, vor allem bei älteren Menschen, auf der anderen Seite sinkende Unfallzahlen und ein Netz von Alternativrouten für Radfahrer, das objektiv (noch) nicht trägt. Um hier noch einmal für Klarheit zu sorgen: Jemanden »nur« zu verunsichern, ist nicht ok! Nur weil die Anzahl der schweren Unfälle seit dem Umbau zurückgegangen ist, muss nicht hingenommen werden, dass zu Fuß Gehende beginnen die Mahü zu meiden, weil sie sich dort fürchten.

Eine ernsthafte Lösung muss aber beides adressieren – Gefühl und Fakten. Es ist zu wenig, einfach nur eine Hauptachse des Radverkehrs zu sperren. Ob das am Ende eine zeitliche Beschränkung, bessere bauliche Lösungen, sichere Alternativrouten oder ein Bündel aus all dem wird, hängt vom (politischen) Willen ab, sich mit detaillierten Fragen tatsächlich auseinanderzusetzen.

Mein Ziel mit den Anfragen war und ist, eine faktenbasierte Diskussion anzustoßen – damit die Mahü nicht zum Objekt parteipolitischer Profilierung wird, während die praktischen Fragen unbearbeitet bleiben.

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