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Fernreisefeeling ohne Flieger
Zwei Wochen voller Überraschungen und Abenteuer auf einer eigentlich gar nicht mögliche Westbalkan-Reise mit Bahn, Bus und Schiff
Inhalt
„Mit der Bahn: Es gibt keinen internationalen Personenverkehr nach Albanien.“
Die Suche im Internet nach einer Zugverbindung, um von Wien in die albanische Hauptstadt Tiranë zu reisen, ist frustrierend. Der ÖAMTC rät gar ein italienische Hafenstadt anzufahren und dann auf eine Fähre zu wechseln – gemeint ist wohl mit dem Auto.
Doch ist etwas, das im Internet nicht existiert, tatsächlich nicht da? Daran zweifelnd erkundigten wir uns auch noch bei einem auf Bahnreisen spezialisierten Reisebüro. Auch dort konnte man uns nicht weiter helfen. Also machten wir uns einfach auf den Weg und entdeckten so Erstaunliches …
Wir, das sind meine Frau und ich, ein bewährtes Reiseteam. Unsere erste Fahrt führte uns zunächst einmal ins Nachbarland Ungarn.
1. Station Budapest 🇭🇺
Runinenbar in Budapest Von Wien nach Budapest zu reisen ist die leichte Übung. Da Budapest eine jedenfalls interessante Stadt ist, haben wir für dort eine Übernachtung eingeplant, was diese Etappe sehr entspannt gestaltete. Am nächsten Tag, gleich in der Früh, geht’s zum Busbahnhof und von dort mit einem Fernbus nach Belgrad.
Dieses Ticket hatten wir übrigens knapp eine Woche vorher schon reserviert, weil wir uns bezüglich der überschaubaren Anreise sehr sicher waren, dass nichts dazwischen kommen kann.
2. Station Belgrad 🇷🇸
Der „Hauptbahnhof“ von Belgrad In Belgrad lassen wir uns gleich nach der Ankunft von einem Taxler mit unpackbarem Fahrstil zum Hauptbahnhof chauffieren. Dort angekommen glauben wir an irgend einem Nebeneingang zu stehen. Aber nein, es ist der Haupt- und auch der einzige Eingang zur „Central Station“ – spannend. Am Fahrkartenschalter verursachen wir gemeinsam mit zwei bis drei anderen Fernreisenden eine Warteschlange epischen Ausmaßes. Das Personal spricht genau eine Sprache: Serbisch. Mit Händen, Füßen, Papier und Kugelschreiber können wir uns verständlich machen und ziehen mit zwei Fahrkarten für die Strecke von Belgrad nach Podgorica, der Hauptstadt von Montenegro ab. Geplante Fahrtzeit: 9h – das wird ein Spaß!
Danach suchen wir uns ein Hotel in Bahnhofsnähe, so dass wir am nächsten Tag gleich zu Fuß den Zug erreichen können. Es gibt aber eh nur zwei, das günstigere ist schon ausgebucht und so checken wir ins „Radisson“ ein und genießen die Dusche mit Blick auf eine Baustelle namens Belgrad. Dann schauen wir uns noch die Innenstadt an. Am Weg dorthin durchqueren wir von gewaltigen Autobahnen umzingelte Unorte und Hochhausbaustellen. Es schaut mir nicht so aus, wie wenn das eine Stadt der „sanften Mobilität“ werden wird. Dieser Umstand scheint auch der Belgrader Bevölkerung sauer aufzustoßen →Anhaltender Widerstand gegen Mega-Bauprojekt.
3. Station Podgorica 🇲🇪
Ankunft in Podgorica Die Bahnstrecke von Belgrad nach Podgorica und weiter nach Bar ist eine Legende und gilt als eine der schönsten Europas. Das Wagenmaterial ist leider etwas altersschwach, was den an sich großartigen Eindruck dieser Strecke leicht trübt – im wahrsten Sinne des Wortes, weil viele der Scheiben undicht und in weiterer Folge wegen des Kondenswassers blickdicht geworden sind. Also mensch suche sich ein Plätzchen, wo irgendwie ein Guckloch ist. Besser als die Bullaugen in einem Flieger sind sie aber allemal.
Der Zug tuckert in gemächlichstem Tempo über Berge und Schluchten. Tiefentspanntes Ankommen ist garantiert. Auch die zweistündige Verspätung konnte daran nichts ändern. Nach 11h Fahrtzeit kommen wir also mit Einbruch der Dämmerung an dem recht hübschen, kleinen Bahnhof von Podgorica an.
Die in Bahnhofsnähe befindlichen Hotels wirken ein bissl wie die Geisterbahn im Pater. Nach kurzer Suche im nahegelegenen Stadtzentrum checken wir im „Hilton“ ein. Die Preise sind erstaunlich moderat, so dass unsere Reisekasse flüssig bleibt.
Am nächsten Tag schauen wir uns das Stadtzentrum genauer an, besuchen die zum Wahrzeichen erklärte Fußgängerbrücke (das begehbare Flussbett ist wirklich schön) und kaufen uns die Bustickets für die Fahrt nach Shkodër in Albanien.
Montenegro ist zwar kein EU Mitgliedsstaat, hat aber den Euro als offizielle Währung schon einmal eingeführt. Englisch sprechend kommt mensch locker durch – wir lernen ein unkompliziertes, freundliches Land kennen. Nicht einmal die Taxler versuchten uns über’s Ohr zu hauen.
4. Station Shkodër 🇦🇱
Fahrräder sind ein fixer Bestandteil des Straßenverkehrs in Albanien. Da jeder Einwohner auch Radfahrer ist, funktioniert das Zusammenspiel auf den Straßen und sonstigen Verkehrsflächen wie selbstverständlich. Im Norden Albaniens liegen einige große Seen. Dieses Gebiet zu erkunden war das eigentliche Ziel unserer Reise. Der erste Halt in Shkodër am gleichnamigen See dauerte drei Tage. In diesem kleinen, bunten Städtchen der ehemals atheistischen Republik Albanien wetteifern Muezzin und Glockenturm um Aufmerksamkeit, aufgelockert durch viel Flowerpower und ein paar Hipsterkneipen.
Neben den ungemein relaxten Straßenhunden fallen die noch zahlreicheren Fahrräder auf. Für mich ist Albanien das „Bozen des Balkans“. Genau wie dort, fahren praktisch alle Gesellschaftsschichten mit dem Fahrrad, was den Verkehr merklich entschleunigt. Es gibt auch kaum Ampeln und trotz der miserablen Straßenbedingungen (jede Menge offene Schächte und Schlaglöcher) trauten wir uns eine kleine Radtour um den Shkodër See zu machen.
5. Station Valbonë 🇦🇱
Koman Stausee: die mehrstündigen Fahrt mit einem Schiff war einer der Höhepunkte dieser Reise. Wie schon für die Zugfahrt von Belgrad nach Podgorica galt für die Fahrt nach Valbonë: Der Weg ist das Ziel. Vor allem der mittlere Teil, die Fähre über den Koman-Stausee ist spektakulär. Stundenlang schlängelt sich das Boot durch die Berge mit immer neuen Ausblicken.
Am Ende geht es noch einmal mit einem Minibus nach Valbonë, was sich als eine Ansammlung von über viele Kilometer verstreute Häuser herausstellt. Da wir keine Unterkunft gebucht haben, ist die Herbergssuche bedingt durch die Weitläufigkeit der „Ortschaft“ jetzt ein bissl eine Herausforderung. Als der Busfahrer feststellt, dass wir keine Rucksäcke sondern Rollkoffer haben, fährt er uns anstandslos bis zum gewünschten, am Ende einer Forststraße gelegenen Hotel. Als wir ihm ein kleines Trinkgeld geben ist er eher überrascht. Im Hotel sind dann leider keine Zimmer mehr für den von uns geplanten längeren Aufenthalt frei. Auch das wird von der Chefin höchstpersönlich und mit größter Selbstverständlichkeit gelöst: Sie quartiert uns bei einer befreundeten Vermieterin mit einer entzückenden, kleinen Landwirtschaft ein - Transfer inklusive. Wir sind sprachlos und sehr dankbar – die dort selbstverständliche Hilfsbereitschaft hat uns den Urlaub gerettet.
Wir verbringen einige Tage mit Wanderungen in der Umgebung, erkunden Wasserfälle, sehen Smaragdeidechsen und prachtvolle Blumenwiesen. Die Landschaft ist ähnlich wie die der Alpen.
6. Station Ulcinj 🇲🇪
Ulcinj: Blick vom Hotel Maris auf die Altstadt. Zunächst einmal mussten wir natürlich über den Koman-Stausee wieder zurück nach Shkodër. Von dort wollten wir eigentlich über Tirana in den Süden Albaniens ans Meer. Das hätte aber bedeutet, dass wir fast den gesamten restlichen Urlaub auf Achse gewesen wären. So haben wir umgeplant und uns entschlossen Richtung Bar in Montenegro zu fahren. Von Bar aus wäre dann direkt der Zug nach Belgrad und weiter Richtung Heimat gegangen. Es kam dann aber nochmals anders, als wir bei einem Zwischenstop in Ulcinj, knapp hinter der Grenze und schon in Montenegro, ein sehr verlockendes Hotel entdeckten. Dort erholten wir uns von den vielen Abenteuern der vergangenen Woche. Solcherart frisch gestärkt treten wir die Rückreise an.
Heimreise Bar–Belgrad–Wien
Die Heimreise war dann relativ geradlinig. Inklusive Verspätung waren wir nach knapp 12h Zugfahrt in Belgrad. Dort übernachteten wir in dem uns bereits bekannten Hotel neben dem „Hauptbahnhof“. Am nächsten Tag dann ging es via Taxi (diesmal in gepflegtem Tempo, der wilde Taxler bei der Ankunft war wohl ein Ausreißer) zur Busstation.
Fallstricke am Busbahnhof Belgrad
An dieser Stelle eine Warnung zur „Busstation“ in Belgrad:
- Der Platz für die Abfahrt ist nicht gleich dem Platz für die Ankunft und weder als „Arrival“ noch sonst wie gekennzeichnet. Abfahrts-/Ankunftshallen sind gegenseitig nicht einsehbar. Wir warteten also erst einmal ziemlich lange am falschen Ort, der Ankunftshalle, bis wir auf die Idee kamen, die Abfahrtshalle zu suchen.
- Nachdem diese gefunden war (es war schon sehr knapp) wurde uns der Zutritt verweigert. Es musste zuerst eine „Bahnsteigkarte“ (das gab es meiner Erinnerung nach zuletzt in einem Roman von Erich Kästner) gelöst werden, um uns dem bereits gebuchten Bus nähern zu dürfen. Diese war dann wiederum ausschließlich mittels Bargeld in lokaler Währung zu erwerben, welche wir, da wir ja in Belgrad nur von der Bahn auf den Bus umgestiegen sind und obendrein zuvor zwei Wochen lang fast den gesamten Westbalkan bereist hatten und selbst im hintersten albanischen Bergtal noch in Euro oder mit Karte zahlen konnten, nicht dabei hatten. Die unfreundliche Auskunft, wo eine Wechselstube sei, war dann auch noch falsch so dass wir inzwischen diese Abfahrtshalle weit genauer kennen, als uns lieb ist.
G’scheit ist das nicht – ich hab Mitreisende schon murmeln hören, die Serben mögen doch bitte erst einmal lernen, einen Busbahnhof zu organisieren, bevor sie EU-Mitglied werden. Etwas differenzierter wird das Dilemma um Serbiens EU-Beitritt in diesem Interview mit dem Politologe Dimitar Bechev behandelt. Manchmal käme es halt auf so „Nebensächlichkeiten“ wie Kundenfreundlichkeit an.
Die Busfahrt verlief weitestgehend ereignislos. Die ungarische Grenzkontrolle war, wohl dem Umstand einer Schengenaußengrenze geschuldet, ein bissl langwierig. Der Ösi in Hegyeshalom dafür um so lässiger. Fehlende Pässe und nervös nach Reisedokumenten nestelnde Passagiere, werden mit „Passt scho’“ und „nur ka Stress“ kommentiert und beruhigt.
Lessons learned
Mit etwas Zeitbudget, in unserm Fall zwei Wochen, lässt sich echtes Fernreisefeeling erleben ohne ein Flugzeug besteigen zu müssen. Die Kosten waren in dem Fall übrigens höchst überschaubar obwohl wir nicht einen auf Sparfuchs gemacht hatten.
Hilfreich beim Aufspüren „versteckter“ Bahnlinien → OpenRailwayMap Was mensch sich allerdings abgewöhnen muss, sind Sicherheit vermittelnde Vorbuchungen. Vieles von dem das wir gefunden und entdeckt haben, gibt es nicht im Internet. Die Auskunft des Automobilclubs ist daher nicht falsch sondern nur irreführend: Es ist in der Tat nicht möglich, eine Bahnkarte von Wien nach Albanien oder auch nur nach Montenegro zu kaufen. Dennoch gibt es diese Verbindungen und sie warten nur darauf „entdeckt“ zu werden.
Zahlen
Die Fahrtkosten betrugen in Summe weniger als € 250,- je Person, der CO₂ Ausstoß dürfte bei 80 bis 100kg gelegen sein – für die gesamte Reise! Wären wir geflogen, hätte alleine die Strecke Wien–Tirana–Wien das 4-fache gekostet bei satten 370kg CO₂ Direktflug mit der AUA Anfang Juli 2022. Flüge mit Zwischenstationen wären bezüglich der Kosten günstiger zu haben – die CO₂-Bilanz wäre dann aber wegen der mehrfachen Starts verheerend. . Die Inlandsfahrten wären zum Flug noch hinzugekommen und wir hätten signifikant weniger von den Ländern gesehen und erlebt.
Strecke | Verkehrsmittel | Kosten |
---|---|---|
Wien 13A | Bus | € 2,40 |
Wien–Budapest | Bahn | € 36,00 |
Budapest–Belgrad | Fernbus | € 25,00 |
Belgrad–Podgorica | Bahn | € 17,00 |
Belgrad Taxi | Taxi | € 10,00 |
Podgorica Taxi | Taxi | € 2,00 |
Podgorica–Shkodar | Fernbus | € 11,00 |
Shkodar–Valbona | Bus/Schiff/Bus | € 25,00 |
Valbona–Shkodar | Bus/Schiff/Bus | € 23,00 |
Shkodar – Ulcinj | Fernbus | € 7,00 |
Taxi zum Busbahnhof | Taxi | € 15,00 |
Ulcinj – Bar | Fernbus | € 3,50 |
Bar – Belgrad | Bahn | € 22,00 |
Belgrad Taxi | Taxi | € 5,00 |
Belgrad – Wien | Fernbus | € 30,00 |
Wien U3 | U–Bahn | € 2,40 |
Summe | € 236,30 |
Tabelle Fahrtkosten Bahn/Bus/Schiff Kosten per Person, Taxi Kosten per Fahrt. ÖBB-Streckenanteil zum Halbpreis berechnet. Stand Juni 2022. Vor allem die internationalen Fernbustickets schwanken je nach Auslastung.
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