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Femisprech einst und jetzt
Die Karriere der »Gästin« von einer Albernheit zum terminus technicus beruhte auf Tradition.
»… aja Femisprech! – gießen wir doch die Weinin in die Gläsin der Gästin …«
Warum gerade solch eine Albernheit in meinem Gedächtnis sich verhakt hat, weiß ich nicht. Das Satzfragment entstammt einem belanglosen Gespräch, geführt irgendwann Ende der 90er Jahr in den Redaktionsräumen des Radiosenders Orange 94.0, damals noch in Wien-Alsergrund. Das Binnen-I, zu dieser Zeit der heiße Scheiß für den progressiv linken Feministen, wird wohl der Kontext gewesen sein. Der Humorist – schon Ende des 19. Jahrhunderts wurden »Gast« und »Gäste« ebenso wie »Gästin« und »Gastinnen« besprochen.
Dass ich diesen Sager heute, rund ein Vierteljahrhundert später aus meinem Gedächtnis klaube, liegt einzig und alleine an der »Gästin«. Die beiden anderen Feminina, »Weinin« und »Gläsin« waren und sind erkennbar albern – aber die »Gästin« hat eine interessante Karriere hinter sich. Für mich, 1967 geborenen, war die »Gästin«, wenn schon nicht unerhört, so doch ungehört – ein Kuriosum also. Als ich Jahrzehnte später im Beherbergungsgewerbe tätig wurde, durfte ich mit Erstaunen feststellen, dass die einstmals scherzhaft gemeinte »Gästin« mittlerweile zu einem etablierten Terminus für den weiblichen Gast geworden war.
Soweit hätte diese kleinen Anekdote einmal illustriert, wie neue, ungewohnt und somit »lustig« klingende Begriffe im Laufe der Zeit in den normalen Sprachgebrauch sich einfügen können. Werden sie nur häufig genug verwendet, schleift sich das Ungewöhnliche ab und damit auch das Lustige. Die albern gemeinte »Gästin« wurde zur Gästin.
Damit könnten wir die Geschichte auch schon wieder beenden. Für jene, welche dem Phänomen gerne noch weiter auf den Grund gehen möchten, gibt es aber einen Zuschlag.
Die »Gästin« ist älter als gedacht
Das Zeitungsarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek liefert eine 4-stellige Anzahl an Treffern für den Suchbegriff »Gästin«. Dabei allerdings auch einige Verwechslungen der in Frakturschrift gesetzten »Gattin«. Auch »… die Gäste in …« wird vom OCR-Programm der ÖNB fallweise zu »Gästin« transkibiert. Die Karriere der »Gästin« vom Bonmot zum terminus technikus ist mit diesem Wissen keine so große Überraschung mehr. Offensichtlich wurde in der Zeit rund um die Jahrtausendwende etwas wieder eingebürgert, das es in den Jahrhunderten davor schon gegeben hatte.
1680 – Pest rafft Weib und Gästin hin
In selbiger grassierender Pestilenz ist auch [an der Hanin Hube zu St. Michael] der Peter Hanin samt seinem Weib und einer Gästin Todes für worden …".
Bemerkenswert ist die Formulierung: »seinem Weib und einer Gästin« – die Gästin war also eine Fremde.
1818 – Todesfall einer Gästin im »Intelligenzblatt«
Eines der ältesten Zeitungsexemplare mit einer »Gästin« datiert mit September 1818. Es handelt sich dabei um die Beilage zur Klagenfurter Zeitung, das sogenannte »Intelligenzblatt«, in dem Lottozahlen, Marktpreise und Todesfälle verlautbart wurden.
Intelligenzblatt zur Klagenfurter ZeitungSonntag den 6. September 1818 Verzeichniß der hier Verstorbenen In der Hauptpfarr St. Eigdi. – 3. Sept. do. Nro. 377 im Kranken Karl Leitschaher, Tabackaufseher, 33 J. In der Pfarr St. Peter und Paul. |
Intelligenzblatt zur Klagenfurter ZeitungSonntag den 6. September 1818 Verzeichniß der hier Verstorbenen In der Hauptpfarr St. Eigdi. – 3. Sept. do. Nro. 377 im Kranken Karl Leitschaher, Tabackaufseher, 33 J. In der Pfarr St. Peter und Paul. |
– Klagenfurter Zeitung, Nro. 71, 6. 12. 1818, Seite 8 (Hervorhebung von mir)
Bis hierher wissen wir nur, dass eine Gästin sehr alt werden konnte – 82 Jahre war für die damalige Zeit ein stolzes Alter. Die folgende Anekdote liefert erste Hinweise zur Semantik …
1819 – Gästin vom Blitz erschlagen
Im Februar 1819 druckt die »Carinthia« eine belehrende Anekdote ab, welche der Landbevölkerung den gefährlichen Unsinn des »Gewitterläutens« wohl austreiben soll. Doch leset selbst und staunet …
CarinthiaZeitschrift für Vaterlandskunde, Belehrung und Unterhaltung Joseph Kleemann, bürgerlicher Büchsenmacher, und zugleich Meßner bei oberwähnter Kirche, befand sich eben ausser der Stadt an der Nitzing; eilte aber zum gewöhnlichen Wetterläuten nach Hause, und so seinem unvorbereiteten Tode entgegen. Er fand bereits die Gästin, Magdalena Braunreiter, die zugleich seine Wirtschaft führte, und noch zwei Knaben in der Kirche mit diesem Läuten beschäftigt; um sich diese Arbeit zu erleichtern gieng er in den Thurm hinauf, und zog den Strang der größten Glocke empor. Nach kaum einer Viertel- Stunde fuhr der Blitz durch das eiserne Kreuz des Thurmes in denselben, an der Aussenwand hinab, wie es die Merkmale bestätigten, und durch das Thor in die Kirche selbst. Nach der Aussage der beiden Knaben, deren einer während diesem schrecklichen Augenblicke am Hochaltäre stand, und ganz unbeschädigt davon kam, der andere aber der Gästin, die im siebenten Monate schwanger war, läuten half, und etwas durch den Blitz an der Ferse gestreift wurde, glänzte das Innere der Kirche von einem rothen Feuer, und als die Unglückliche, nachdem sie noch einmal mit der Hand über ihr Antlitz fuhr, todt niedersank, entflohen die beiden. So schnell man auch alles anwandte, das durch den Kaiserschnitt entbundene Kind zu retten, so war es doch vergebens. Den Meßner selbst fand man im Thurm, den ein stinkender Rauch erfüllte, in einer Ecke mit dem Glockenstränge in den Händen, in sitzender Stellung, todt; seine Haare waren versengt, Antlitz und Brust verbrannt, und seine Kleider in Flammen. So brachte ein thörichtes Beginnen ein dreifaches Opfer. Gebe Gott, es wäre das letzte, und die eigensinnigen Leute gäben, zu ihrem und ihrer Mitbrüder Wohl, den so oftmals darüber geschehenen Belehrungen Gehör!!— |
CarinthiaZeitschrift für Vaterlandskunde, Belehrung und Unterhaltung Joseph Kleemann, bürgerlicher Büchsenmacher, und zugleich Meßner bei oberwähnter Kirche, befand sich eben ausser der Stadt an der Nitzing; eilte aber zum gewöhnlichen Wetterläuten nach Hause, und so seinem unvorbereiteten Tode entgegen. Er fand bereits die Gästin, Magdalena Braunreiter, die zugleich seine Wirtschaft führte, und noch zwei Knaben in der Kirche mit diesem Läuten beschäftigt; um sich diese Arbeit zu erleichtern gieng er in den Thurm hinauf, und zog den Strang der größten Glocke empor. Nach kaum einer Viertel- Stunde fuhr der Blitz durch das eiserne Kreuz des Thurmes in denselben, an der Aussenwand hinab, wie es die Merkmale bestätigten, und durch das Thor in die Kirche selbst. Nach der Aussage der beiden Knaben, deren einer während diesem schrecklichen Augenblicke am Hochaltäre stand, und ganz unbeschädigt davon kam, der andere aber der Gästin, die im siebenten Monate schwanger war, läuten half, und etwas durch den Blitz an der Ferse gestreift wurde, glänzte das Innere der Kirche von einem rothen Feuer, und als die Unglückliche, nachdem sie noch einmal mit der Hand über ihr Antlitz fuhr, todt niedersank, entflohen die beiden. So schnell man auch alles anwandte, das durch den Kaiserschnitt entbundene Kind zu retten, so war es doch vergebens. Den Meßner selbst fand man im Thurm, den ein stinkender Rauch erfüllte, in einer Ecke mit dem Glockenstränge in den Händen, in sitzender Stellung, todt; seine Haare waren versengt, Antlitz und Brust verbrannt, und seine Kleider in Flammen. So brachte ein thörichtes Beginnen ein dreifaches Opfer. Gebe Gott, es wäre das letzte, und die eigensinnigen Leute gäben, zu ihrem und ihrer Mitbrüder Wohl, den so oftmals darüber geschehenen Belehrungen Gehör!!— |
– Carinthia, 6. 2. 1819, Seite 2, Auszug aus »Ein Spaziergang in's Weißenbacher-Bad bei Wolfsberg« (Hervorhebung von mir)
1897 – »Comtesse Guckerl«, Gästin vom Raimundtheater
Der »Humorist«, nach seinem Selbstverständnis »Illustriertes Unterhaltungsblatt« berichtet über das Kulturleben in Baden:
In den Reprisen „Waldmeister“ und „Nazi“ brillirte Director Schreiber als Erasmus Müller und Nazi. Am Samstag hatten wir das seltene Schauspiel eines Lustspieles mit einer Gästin, Frl. Bichler vom Raimundtheater, die sich uns als Comtesse Guckerl präsentirte. Frl. Bichler gehört zu jenen Gastinnen, die man sich einmal anhört. Tags zuvor sang Herr Ranch den Jonathan,— nein, den armen Jonathan. Ueber den ausgezeichneten Erfolg der sorgsam einstudirten von Director Schreiber prächtig ausgestatteten Operette „Der Schmetterling“ berichten wir nächstens ausführlich. | In den Reprisen „Waldmeister“ und „Nazi“ brillirte Director Schreiber als Erasmus Müller und Nazi. Am Samstag hatten wir das seltene Schauspiel eines Lustspieles mit einer Gästin, Frl. Bichler vom Raimundtheater, die sich uns als Comtesse Guckerl präsentirte. Frl. Bichler gehört zu jenen Gastinnen, die man sich einmal anhört. Tags zuvor sang Herr Ranch den Jonathan,— nein, den armen Jonathan. Ueber den ausgezeichneten Erfolg der sorgsam einstudirten von Director Schreiber prächtig ausgestatteten Operette „Der Schmetterling“ berichten wir nächstens ausführlich. |
– Der Humorist, Nr. 19, 1. 7. 1897, Seite 3, »Badener Brief« von Arnold Stolz (Hervorhebung in fett von mir, gesperrt vom Original)
Auffällig an diesem »Badener Brief« ist die wenig konsistente Verwendung von Umlauten: Die »Gästin« wird im Singular mit ä, im Plural hingegen mit a geschrieben – also »Gastinnen«. Diese fehlende Umlautung der »Gastinnen« findet sich auch an anderer Stelle und ist somit kein Satzfehler.
Am Satzanfang steht »Ueber« mit Ue statt Ü. Das könnte aber am Schriftsatz liegen. Das Ü mit seinen Punkten ist ein schwieriger Letter, der im damaligen Bleisatz vielleicht einfach fehlte.
Unklar bleibt, ob die Movierung von »Gast« zu »Gästin« hier nicht auch abwertend gemeint war:
Frl. Bichler gehört zu jenen Gastinnen, die man sich einmal anhört.
Die Formulierung und Betonung auf »einmal« lässt auf eine gewisse Unzufriedenheit des Autors mit der Darbietung dieses »Fräuleins« schließen. Wollte er die in Baden gastierende Schauspielerin mit dem Anhängsel ‑in also zusätzlich ins Lächerliche ziehen?
Dieser These widerspricht die folgende Passage:
Das Burgtheater war eine Bildungsanstalt für Kunst, Geschmack und Publikum, aber es ist jetzt nur gar zu oft blos eine Bildungsanstalt für Zöglinge, ein Probesaal, ein Exercierplatz zum Einschulen, ein Durchhaus für Gäste und Gastinnen, die nur gar zu oft durch nichts berechtigt sind, auf diesen Brettern zu erscheinen, die dem Publikum als Versuche vorgeführt werden. | Das Burgtheater war eine Bildungsanstalt für Kunst, Geschmack und Publikum, aber es ist jetzt nur gar zu oft blos eine Bildungsanstalt für Zöglinge, ein Probesaal, ein Exercierplatz zum Einschulen, ein Durchhaus für Gäste und Gastinnen, die nur gar zu oft durch nichts berechtigt sind, auf diesen Brettern zu erscheinen, die dem Publikum als Versuche vorgeführt werden. |
– Humorist, No. 267, 2. 10. 1856, Seite 1059, »Wiener-Badner Didaskalien« von M.G. Saphir
Didaskalien waren in der Antike die urkundlichen Verzeichnisse der aufgeführten Dramen mit Angaben über Titel, Dichter, Schauspieler, Ort und Zeit der Aufführung usw. Die Movierung Gast → Gästin war also damals gebräuchlich und auch frei von abwertenden Untertönen.
Was genau nun eine Gästin ist, dürfte sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder geändert haben und auch vom Kontext abhängen. Gast wie Gästin sind Personen, welche vorübergehend aufenthältig sind. Sei es als Urlaubsgast oder um jemandes Haushalt zu führen. Heute übliche ist beispielsweise auch der »Fahrgast«, welcher sich vorübergehend in einem Transportmittel aufhält – inzwischen wieder auch als Fahrgästin ohne dass dies irgend jemand lustig findet.
Innsbruck – In einer Tram in Innsbruck ist am Mittwoch eine Fahrgästin (85) verletzt worden.
Quellen
Österreichische Nationalbibliothek. Carinthia I, 1891 bis 2018, Hauptteil
Österreichische Nationalbibliothek. Klagenfurter Zeitung, Nro. 71, 6. 12. 1818
Österreichische Nationalbibliothek. Carinthia, 6. 2. 1819
Österreichische Nationalbibliothek. Der Humorist, Nr. 19, 1. 7. 1897
Österreichische Nationalbibliothek. Humorist, No. 267, 2. 10. 1856
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