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Niemensch verunstaltet die Sprache!

Was bringen neue Indefinitpronomen wie »frau« und »niemensch«?

»… ich erkenne nicht den orthographischen Gewinn, wenn niemand durch niemensch ersetzt wird. Bei mir beginnen solche Termini eher das Gegenteil vom offenbar Gewollten zu bewirken …«

– Rückmeldung zu einem meiner Texte, März 2023 –

Das obige Zitat bezieht sich auf einen von mir verfassten Text, welcher die Diskussion einer kleinen, feinen Gruppe rund um die Neu­ge­staltung der Gumpendorfer Straße zusammenfasste. In diesem Text findet sich unter der Diskutanten-Liste der folgende Absatz:

Dieses Dokument ist ein teil-konsensualer Querschnitt, inspiriert durch schriftlich und persönlich vorgebrachte Beiträge obiger Personen. Nicht ein jedes ist mit allem und wohl niemensch mit gar nichts hier einverstanden.

»Ästhetische Lösungen für den ruhenden Verkehr«, Forum Gumpendorfer Straße, März 2023

Zugegebenermaßen eine reichlich barocke Formulierung; was genau ich mir dabei gedacht hatte, kann ich jetzt selber nicht mehr sagen. Im Rückblick denke ich aber, dass die vielschichtige Grammatik dieses Satzes dessen Aussage widerspiegelt: Die Meinung selbst einer kleinen Gruppe auf den Punkt zu bringen, geht nicht – solche Zusammenfassungen haben zwangsläufig mehrere, miteinander verwobene Ebenen, in denen die Teilnehmenden sich mehr oder weniger wiederfinden.

Doch damit zur Frage nach dem orthographischen Gewinn, »niemand« durch »niemensch« zu ersetzen. So wie die Frage formuliert ist, werden mit ihr einige Festlegungen getroffen, die ich zunächst einmal korrigieren möchte:

Erstens sollte es sich bei der Ablöse des generischen Maskulinums um keine Veränderung der Orthographie sondern der Grammatik handeln. Damit will ich weder i-Tüpfeln noch Rechthaberei betreiben. Denn die Versuche ein grammatisches Problem ortho- »Splitting« auch Paarform genannt, also die Nennung von männlicher und weiblicher Form. Bspw. »Leserinnen und Leser«  oder gar typographisch Binnen-I, Gender-٭ und alle andere mitmein-Zeichen, wie Doppel- oder Mediopunkt  zu lösen sind ähnlich elegant und vielversprechend, wie einen Nagel mit der Zange einzuschlagen: Ja es geht aber es ist unnötig mühsam und fühlt sich falsch an.

Zum Zweiten wird das Indefinitpronomen »niemand« durch Neubildungen wie »niefrau« und »niemensch« nicht ersetzt sondern ergänzt. Solche Ergänzungen können, aber müssen nicht verwendet werden. Sie können in Texten je nach Zielgruppe und gewünschter Aussage beliebig häufig, abwechselnd und überschneidend verwendet werden. So wenig wie der Gaul das Pferd, ersetzt der Niemensch den Niemand.

Synonyme sind immer hilfreich um Wort­wieder­holungen zu vermeiden. Darüber hinaus unterstützen sie aber auch spracheffizient und präzise zu formulieren: »Sagen was Sache ist« – das Credo guten Journalismus – ist mit dem generischen Maskulinum wegen seiner Mehr­deutigkeiten, nicht so einfach. Allerdings ist durch Verirrungen wie das Splitting und den Gender-٭ bei vielen der Eindruck entstanden, Gendern mache die Sprache langatmig, ungenau und hässlich. Ob es zu solche Neben­wirkungen kommt, ist aber eben stark davon abhängig, in welchen Werkzeugkasten wir dabei greifen: In den der Grammatik oder den ortho- /typographischen. Die Schaffung zusätzlicher generischer oder geschlechts­spezifischer Nomen Neue (Indefinitpro)nomen: Bei den unbestimmten wären dies das generische »mensch« sowie das weibliche »frau«. Bei Nomen hingegen die spezifisch männlichen Movierungen, wie »Leserich« statt bisher »männlicher Leser«, → spezifisches Maskulinum. erweitert die Ausdrucks­möglichkeiten und lässt sich daher dosiert und rückwärtskompatibel mit dem vorhandenen Sprachschatz einsetzen. Das liegt wesentlich daran, dass wir dabei an der richtigen Stelle angesetzt haben, der Grammatik.

Eine Frage der Dosis

Sprache verändert sich allmählich. Neue Formulierungen massiv eingesetzt wirken schnell einmal belehrend und dann nerven sie statt neugierig zu machen. Dieser unerwünschte Effekt wird verstärkt, indem unsere Leitmedien ORF und APA das Splitting massiv propagieren ohne dabei aber nachvollziehbar und konsequent vorzugehen. Auf mich wirkt dieses Umerziehungs­experiment wie in einer Twitter­blase entstanden und es ist zu befürchten, dass es »Während auf Twitter rund 2 Prozent der Deutschen aktiv sind, sind es unter Journalisten nahezu 100 Prozent. Was auf Twitter diskutiert wird, betrifft alle, auch jene, die sich nicht auf der Plattform bewegen.« Richard Gutjahr. Twitter-Tagebuch: Wider die Filterblasen. Stern 8/2012. vor allem dem progressiven Teil der Gesellschaft noch auf den Kopf fallen wird.

Um so wichtiger ist, »niemensch« & Co mit Gefühl und Bedacht auf die Leserschaft einzusetzen. Was im genderfluiden Mariahilf wohlwollend, aufgenommen wird, löst woanders vielleicht einen Aufstand aus – beispielsweise in Bezirken, welche Klimaaktivisten der Einfachheit halber als »die Heisln« gendern. Siehe Quellen. Heisl oder auch Häus’l ist im engeren Sinn ein kleines Haus aber auch die Kurz­form von Scheißhaus und wird im über­tragenen Sinne ähnlich wie »G’schissener« gebraucht. Bezeichnung für einen minder­wertigen, nicht ernst zu nehmenden Menschen.

Der Gewinn beim »niemensch« und der Schaas mit dem Splitting

Damit zur Frage: Wo ist mein Gewinn im Falle eines sich etablierenden »je- oder niemensch«? Prinzipiell betrachtet, kann geschlechtergerechte Sprache helfen, uns präziser und zugleich vielschichtiger auszudrücken. Die Akzeptanz neuer (Pro)nomen ist vor allem eine Ge­wöhnungs­frage, wohingegen die Versuche, Überbegriffe durch Aufzählung herzustellen, die Sprache dauerhaft verkomplizieren ohne jemals gerecht zu sein. »Leserinnen und Leser« ist nicht nur länger als »Leser«, sondern auch noch unvollständig – es sei denn, meine Leserschaft würde sich auf eine sehr genau eingegrenzte, brav heteronormativ lebende Gruppe beschränken. Darüber hinaus spaltet das Splitting – nomen est omen – die Leser in männliche Leser und weibliche Leserinnen auf, die fortan getrennt erwähnt und besprochen werden müssen. Das ist weder integrativ noch, siehe oben, vollständig. Also auf gut Österreichisch und gemessen an den Zielen des Genderns »irgendwie a Schaas«.

Generische Über- und Sammelbegriffe, wie der hier besprochene »niemensch«, mögen anfangs ungewohnt klingen, mit Gefühl eingesetzt, reduzieren sie nicht nur das historisch gewachsenes Ungleichgewicht der Geschlechter, sondern bereichern unsere Sprache darüber hinaus auch noch.


Hinweis: Erstmals am 12. März 2023, danach überarbeitet am 17. März nochmals veröffentlicht.


Quellen

Richard Gutjahr. Stern 8/2012.. Twitter-Tagebuch: Wider die Filterblasen (lt. ChatGPT, nicht verifiziert)

Kronen Zeitung. „Heisln“: SPÖ-Bezirkschef verspottet Polit-Gegner 🌐

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