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So geht das nicht!

Der Konflikt um die Wientalterrasse schaukelt sich hoch. Wegschauen oder der Verweis auf den Polizeinotruf helfen hier nicht. Die Stadt Wien sollte das Thema der Vereinbarkeit von Nachtruhe mit konsumfreien Räumen aktiv aufgreifen und einer dauerhaften Lösung zuführen. Andernfalls torpediert sie ihre eigenen Vorhaben – die »zukunftsfite Gumpi« und »Reinpi« eingeschlossen.

Die Wientalterrasse ist ein ausgesprochen gelungener, mitten in der Stadt gelegener Erholungsraum für Menschen aller Altersstufen. Doch wie er nachts genützt werden kann, ohne den Anwohnern den Schlaf zu rauben, muss offensichtlich klarer kommuniziert und durchgesetzt werden.

Nachdem eine Anwohnerin mittels Aushang bekannt gab, der ORF-Bürgeranwalt würde sich des Themas der nächtlichen Ruhestörung auf der Wientalterrasse annehmen, staunte sie anderntags nicht schlecht. Der von ihr angeschlagene Zettel war mit allerlei »Freundlichkeiten« verziert: »Fuck You! Scheiß Nazis!« oder »Asoziale Dreckschweine« war dort zu lesen.

Die Aufzeichnungen des ORF auf der Terrasse verliefen dann einigermaßen geordnet und anfangs auch sehr kultiviert. Gegen Ende tauchten dann rein zufällig die Planer der Terrasse auf. In diesem Moment kippte die Stimmung, weil eine der vom nächtlichen Lärm Betroffenen meinte, ihren – verständlichen! – Frust an den Architekten abreagieren zu müssen.

Aushang – mit anonymen Reaktionen.

Hier wie dort zeigt sich, dass das Thema nicht mehr einfach ignoriert werden darf. Die Anwohner leiden nachvollziehbar, auch wenn es für den Unein­geweihten erstaunlich sein mag, dass diese Terrasse – eingeklemmt zwischen mehrspurigen Straßen, U‑Bahntrasse und Baustelle – überhaupt noch in der Lage ist, sich akustisch bemerkbar zu machen. Natürlich lärmt nicht die Terrasse selber sondern – manche! – Menschen, die sich auf oder um die Terrasse herum aufhalten. Wer sich die Mühe macht, die Aufzeichnungen von Anwohnern anzusehen- und vor allem anzuhören, der wird zugeben müssen, dass nächtliche Ansammlungen auf der Terrasse auch einen Lärm verursachen können, der alles andere übertönt. Eine Auswahl solcher Auf­zeichnungen findet sich in → „Wirbel“ auf der Wientalterrasse

Auch darf nicht vergessen werden, dass mit Betriebsschluss der U4 alle anderen Lärmquellen ebenfalls stark nachgelassen haben. Somit beginnt für die Anwohner rund um Mitternacht eine wenn auch kurze so doch zuverlässige Regenerationsphase. Wenn diese nun auch noch durch auf der Terrasse abgehaltenen Zusammenkünfte unterbrochen wird, verliert die Gegend ihre Funktion als Wohngebiet.

Mir ham eh a Schüld aufg'hängt! – nur leider etwas klein und kaum noch zu lesen. So kann eine Stadtverwaltung auch zum Ausdruck bringen, welchen Stellenwert das Ruhebedürfnis der Anrainer für sie hat.

Und die Lösung wäre?

Seitens der Boulevardmedien wird gerne eine nächtliche Sperre der Terrasse ins Spiel gebracht. Das ist – mit Verlaub – eine dieser typisch, populistischen Pseudolösungen, die allenfalls das Problem verschieben, statt es zu lösen. Wer hier lärmt – sei es aus Unkenntnis des Problems oder weil ihm andere prinzipiell wurscht sind – wird genau dieses Verhalten auch andernorts an den Tag legen. Diese Leute lösen sich ja nicht in Luft auf, sondern ziehen dann woanders hin – beispielsweise in den Esterhazy-Park oder zu einem der vielen Verweilplätze, mittels derer die »Gumpi« oder »Reinpi« »Gumpi« als Kurzform für Gumpendorfer Straße dürfte inzwischen geläufig sein. »Reinpi« ist Gerüchten zu Folge der neue Kosename für die ebenfalls gerade in Umgestaltung befindliche Reinprechtsdorfer Straße. Diese Tendenz, mit der Umgestaltung eines Straßenzuges einen neuen Spitznamen einzuführen, kennen wir ja seit der »Mahü«. Die Rotenturmstraße ist diesem Schicksal bisher scheint’s entkommen. Eine »Roti« wäre dem Innere Stadt-Publikum wohl mehr als nur über die Hutschnur gegangen. zukunftsfit gemacht werden sollen. Inzwischen sind wir ja so weit, dass für zu Fuß Gehende dringend benötigte Ruhebänke in den Straßenzügen nicht aufgebaut werden, weil es in Folge dort zu Ruhestörungen kommen könnte. Mit dem Ignorieren des Problems, dass offensichtlich nicht allen klar ist, was um welche Uhrzeit im öffentlichen Raum geht und was nicht, schaffen wir uns also eine Situation, welche dringend nötige Änderungen im Mobilitätsverhalten blockiert!

Nachhaltiger wäre vielleicht, wenn die Stadt einmal festschreibt, was geht und was nicht und in weiterer Folge auch die Verantwortung für die Kommunikation inklusive Durchsetzung dieser Regeln übernähme. Das wird einiges kosten, aber eine Stadt, von der wir seit Inkrafttreten des Medientransparenzgesetzes wissen, dass sie schon mehrere hundert Millionen für Kommunikation ausgegeben hat, muss ja nur ein paar Anzeigen weniger in den oben erwähnten Boulevardmedien schalten. Das frei werdende Budget könnte dann für eine durch die Stadt organisierte, solide Kommunikation der Dos & Don’ts im öffentlichen Raum heran gezogen werden. 💩 Apropos Kommunikation und Durchsetzung von Regeln: Tagsüber wäre die Kommunikation der Hundstrümerl-Regeln ein dankbares Aufgabenfeld!

Darüber hinaus gibt es sicherlich berufenere Fachleute als den Autor dieser Zeilen, um konkrete, nachhaltige Lösungen für dieses Problem zu finden. Erfreulich ist beispielsweise, dass eine kleine Gruppe der Studienrichtung »Social Design«, sich des Themas angenommen hat. Gut möglich, dass von dieser oder anderer Seite bessere und auch konkretere Vorschläge zur Konfliktbewältigung kommen werden. Unlösbar ist das alles sicherlich nicht, aber von alleine wird der Konflikt nicht verschwinden sondern nur immer schlimmer werden.

Einladung zu einem »Zusammenkommen« veranstaltet von Studentinnen der Studienrichtung Social Design im Rahmen einer Recherche Arbeit.

Die Sendung

Nachdem ich den Beitrag und die Studio-Diskussion gesehen habe ein kurze Ergänzung: Die Idee mit dem nächtlichen Zaun zu Absperrung erscheint mir nicht ganz durchdacht. Aber wenn die Stadt Wien sich des Themas nicht annehmen will, macht sie es halt jenen leicht, die diese Plätze zumindest nachts dann wieder zusperren wollen. Wie schon mehrfach und von verschiedener Seite erwähnt, löst eine solche Sperre das Problem nicht sondern verlagert es allenfalls. Abgesehen davon ist das gerade einmal hüfthohe Zäunchen der Wientalterrasse natürlich keine effektive Barriere. Es müsste durchgehend beaufsichtigt werden. Eine solche Aufsicht könnte aber genauso gut dafür sorgen, dass die Lauten sich gar nicht erst festsetzen und bei zumindest einem Teil dieser Menschen auch das Verständnis für die Problematik schärfen. Das geht nur im Gespräch und nicht mittels Zaun. Dann wäre das eine nachhaltige Lösung und nicht nur ein Verdrängen.


Quellen

Dossier. Wiener Biotop, Dossier 17.10.2022 🌐

ORF. Bürgeranwalt, 24. Juni 2023 🌐


Bildnachweise

Farbfotos vom Autor

Texttrenner

Dieser Artikel ist Teil der
Serie Wientalterrasse

  • 30.09.2022 „Wirbel“ auf der Wientalterrasse
    Ein klassischer Nutzungskonflikt im urbanen Raum.
  • 21.06.2023 So geht das nicht!
    Der Konflikt um die Wientalterrasse schaukelt sich hoch. Wegschauen oder der Verweis auf den Polizeinotruf helfen hier nicht. Die Stadt Wien sollte das Thema der Vereinbarkeit von Nachtruhe mit konsumfreien Räumen aktiv aufgreifen und einer dauerhaften Lösung zuführen. Andernfalls torpediert sie ihre eigenen Vorhaben – die »zukunftsfite Gumpi« und »Reinpi« eingeschlossen.
  • 19.11.2023 Wientalterrasse – der Volksanwalt hat nachgefragt
    Was sich seit der Bürgeranwalt Sendung vor rund 3 Monaten verändert hat – Reaktionen der Behörden und Anrainer – und ein praktikabler Lösungsansatz.

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Kategorie Gesellschaftspolitik

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