Varia
... von Ihren Experten für eigentlich eh fast alles.
Alles in Butter?
Laut ORF wirken soziale Medien sich gar nicht auf's reale Leben aus.
Mit der Medienkompetenz unserer Journalisten schaut es leider gar nicht gut aus. Der ORF beispielsweise verbreitet über seine science-Seiten eine Studie zum Thema Social Media und legt uns nahe:
Die Algorithmen von Facebook und Instagram beeinflussen die Inhalte, die … User auf den Plattformen sehen, nicht aber ihre politische Einstellung im „realen Leben“ …
Ohne mir den Studienaufbau genauer angesehen zu haben fällt mir sofort auf: Verglichen wurde das Verhalten beziehungsweise die politische Einstellung rund um die US-Präsidentschaftswahlen von zwei Gruppen: Einerseits solche, welche die Inhalte ungefiltert, chronologisch geliefert bekamen. Auf der anderen Seite jene, deren Newsfeed über einen Algorithmus gesteuert wurde. Und siehe da: Im realen Leben unterschieden sich die beiden nur im Umfang des Plattform-Konsums. Die mit Algorithmus Versorgten verbrachten um die 20% mehr Zeit auf der jeweiligen Platform. Politisch und im realen Leben, verhielten sich beide Gruppen gleich.
Jetzt lassen wir einmal bei Seite, wie exakt solche Bestimmungen der politischen Einstellung sind. Vergessen wir auch, dass sich die Veränderung des (Wahl)verhaltens vielleicht in etwas längeren Zeiträumen erst zeigen könnte. Denn es gibt einen viel schwerwiegenderen Fehler in der vom ORF verbreiteten Schlussfolgerung, »der Algorithmus« würde sich nicht auf’s reale Leben auswirken.
»Den Algorithmus« gibt es nicht
Es gibt ihn nämlich nicht, »den« Algorithmus. Konzerne wir Meta (Facebook, WhatsApp, …) können mit einem Fingerschnippen diesen anpassen und verändern und genau das tun sie auch laufend. Es wirft ja niemand Facebook vor, während der Präsidentschaftswahl 2020 getrickst zu haben. Im Gegenteil, Meta wird alles daran gesetzt haben, neutral zu bleiben, um nicht eine Zerschlagung des Konzerns zu provozieren. Insofern haben die Algorithmen zu diesem Zeitpunkt genau das erreicht, was der Konzern wollte. Nichtsdestotrotz hat der Konzern aber die Möglichkeit, jederzeit Einfluss auf die politische Entwicklung eines jeden Landes zu nehmen und früher oder später wird er das natürlich tun. Dieser aberwitzige, globale Machtfaktor unterliegt nach wie vor keiner politischen Kontrolle, muss sich keiner Wahl stellen und verfügt über keine Gewaltenteilung. Das kann nur schief gehen.
Wie schnell es geht, hat sich beim Brexit und der Trump-Wahl gezeigt. Damals hatte eine skrupellose Manipulationsagentur an Facebook vorbei und ohne deren Wissen dieses mächtige Instrument missbraucht. Der Beweis, wie leicht mit zentralisiertem Social Media großer Schaden angerichtet werden kann, ist also längst erbracht. Einmal mehr empfehle ich an dieser Stelle die Doku Fake America Great Again. sowie die Netflix Doku The Social Dilemma. Wer lieber liest als Filme zu kucken, kann bei CORRECTIV „Dark Ads“ bei Facebook: Wie mit Falschnachrichten Stimmung für den Brexit gemacht wurde nachlesen.
Kritische Stimmen
Wer den ORF-Artikel zu Ende liest, findet übrigens auch kritische Stimmen, welche die in der Headline nahegelegte Schlussfolgerung stark in Zweifel ziehen:
In sehr wichtige Datensätze, etwa zur genauen Funktionsweise der Algorithmen, hatten die beteiligten Forschungsteams keinen Einblick.
Offen bleibt für mich, wieso Redakteure des öffentlich rechtliche Rundfunks nicht in der Lage sind, einen so offensichtlichen Versuch der Facebook-Mutter ihren Ruf wieder aufzupolieren, kritischer zu hinterfragen. Und es ist für mich unverständlich, warum die ohnedies vorhandenen kritischen Stimmen am Ende unter ferner liefen versteckt wurden.
Quellen
CORRECTIV 2018-08-06. „Dark Ads“ bei Facebook: Wie mit Falschnachrichten Stimmung für den Brexit gemacht wurde 🌐
ORF dokFilm. Fake America Great Again. Wie Facebook und Co. die Demokratie gefährden.
SPIEGEL 2018-03-26. Facebook-Datenskandal, Der Brexit - ein großer Betrug? 🌐
ZEIT 2021-12-07. Rohingya fordern 150 Milliarden Dollar Schadenersatz von Facebook 🌐
Bildnachweise
Screenshot ORF.at
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