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Wientalterrasse – der Volksanwalt hat nachgefragt

Was sich seit der Bürgeranwalt Sendung vor rund 3 Monaten verändert hat – Reaktionen der Behörden und Anrainer – und ein praktikabler Lösungsansatz.

»Ich würde zu einer dieser Anrainerinnen werden, die alles Lebensfrohe des öffentlichen Raums hassen und bekämpfen.«

– D. Knecht. Eine vollständige Liste aller Dinge, …. –

Dieser ORF-Beitrag ist gut gemacht und sehenswert aber das Ergebnis der Nachfrage ist alles andere als zufriedenstellend. Dass die Stadt sich in Sachen Lärmeindämmung so gar nicht engagieren mag, halte ich für ein schweres Versäumnis.

Bürgeranwalt – Auszüge aus der Sendung »Nachgefragt – Nächtliche Ruhestörungen«.

Die von Bezirks- und Stadtpolitikern immer wieder vorgetragene Lösung, doch die Polizei zu rufen, schaut in realita so aus:

… es ist 23:20 Uhr und es geht noch immer so auf der Terrasse zu. Um 22 Uhr ist nur ein Polizeiauto mit zugemachten Scheiben kurz durchgefahren, danach war wieder alles so wie zuvor.

Jetzt habe ich die Polizei angerufen und gesagt, sie sollen auch aussteigen, so wie zuvor hat das keinen Sinn.

Dann sind sie wieder hingefahren, die Jugendlichen haben den Stinkefinger dem Auto dann nachgezeigt. Dann ging alles wieder von vorne los.

Habe dann wieder die Polizei gerufen und habe auch mit dem Polizisten am Telefon gesprochen, dass sie sich durchsetzen und nicht mit dem Auto hinfahren sollen. Dies haben sie dann auch zu Dritt getan und anscheinend Namen notiert. Danach hat sich die Gruppe von 30 Personen aufgelöst.

Bericht eines Anrainers vom 27.6.2023

Eine Ideallösung ist das ja wohl nicht. Weder wird so bei den »Jugendgruppen« das Verständnis für die Problematik steigen, noch schaut mir das nach einer Dauerlösung aus. Die Polizei­beamten sind offensichtlich nicht motiviert, fühlen sich fehl am Platz. Was nicht wunder nimmt – die Stadt lässt U‑Bahnen und Busse ja auch nicht von der Polizei kontrollieren sondern von einem eigenen, dafür ausgebildeten Team. Warum sollte das für die Beaufsichtigung solcher Räume nicht funktionieren?

Ein Zaun als Lösung?

Auf der anderen Seite empfinde ich den Herrn Rosenkranz aber auch als eher phantasielos. Wenn Anwohner in ihrer Verzweiflung auf die Idee kommen, einen Zaun zu errichten, ist das verständlich. Aber als Volksanwalt sollte mensch etwas mehr Distanz haben. Damit ließe sich leicht erkennen, dass ein Einzäunen der Wientalterrasse nicht so einfach ist. Diese Zäune müssen eine gewisse Höhe haben und was bei einem Park nicht weiter stört, schaut bei so einer kleinen Fläche echt blöd aus. Statt gelungener Architektur hätten wir einen »Fußballkäfig« mehr. Weiters stellt sich natürlich die Frage, warum jene, die die Terrasse bestimmungsgemäß nutzen, nach Hause gehen sollen, nur weil eine (kleine?) Gruppe meint, Rabatz machen zu müssen? Und zum dritten würde eine gesperrte Terrasse das Problem ohnedies nur verlagern. Böse Zungen könnten meinen: Der Bezirk und die Stadt sind ganz froh darüber, dass sich das Problem dort und nicht anderswo konzentriert. Denn hier kann man das Problem ja immer noch »der Vassilakou« in die Schuhe schieben.

»Auf dem Immobilienmarkt«

Das Problem wurzelt meines Erachtens auch in einer etwas eigenartigen Ambivalenz der in den betroffenen Bezirken vorherrschenden Szene, sobald es um das Thema Lärm und Feiern geht. Zum einen möchte man natürlich keinesfalls lärmbelastet wohnen, zum anderen gibt man sich gerne liberal und tolerant. Diese Widersprüchlichkeit findet sich zum Beispiel in Doris Knechts letztem Roman wieder. Im Kapitel »Auf dem Immobilienmarkt« berichtet die Protagonistin von ihrer Wohnungssuche:

»Die beiden Zimmer sind niedrig und ohne Charme. Nur der Blick über den Platz ist schön, aber der Platz ist jetzt zu jeder Tageszeit lärmig. Seit der Pandemie sitzen die Leute das ganze Jahr draußen, jeden Abend würde dort Krach sein, besonders im Sommer, wenn man die Fenster offen lassen möchte. Ich würde anfangen, Gelächter bloß noch als Störung meines Schlafes zu empfinden. Ich würde zu einer dieser Anrainerinnen werden, die alles Lebensfrohe des öffentlichen Raums hassen und bekämpfen.«

– Doris Knecht. Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe.

In diesem Absatz wird klar ausgesprochen, was meinem Eindruck nach bei Diskussionen über nächtliche Ruhestörung – mehr oder weniger subtil – mitschwingt: Wer sich über Partylärm aufregt, dem mangle es ja nur an Lebensfreude. Es fängt an mit der Plattitüde »Wir waren auch einmal jung!« und endet bei dem Tipp, doch das Gespräch mit den Ruhestören zu suchen. Was diese gutmeinenden aber ihre Toleranz auch ein bisschen vor sich hertragenden Mitmenschen geflissentlich übersehen: Nicht einjedes schätzt Lärm oder Partys, die diesbezüglichen Bedürfnisse und Toleranzschwellen verändern sich vielleicht auch im Laufe eines Lebens und vor allem: Nichts – aber auch gar nichts! – ist daran falsch, nicht zu den Lauten zu gehören.

Ein praktikabler Lösungsansatz …

Aber wie dieses Dilemma nun praktisch lösen? Und wer könnte es lösen? Ein, wie ich finde, konstruktiver Vorschlag kam aus Wien-Margareten. Denn spätestens seit dieser »Nachgefragt«-Sendung sollte doch klar sein, dass die Polizei für diese Aufgabe die falsche Behörde ist:

»Wir Grüne setzen uns daher für den Einsatz von Awareness-Teams auf der Wientalterrasse ein. Diese wurden während Corona schon am Karlsplatz und am Donaukanal eingesetzt und haben gute Erfolge erzielt. Seit dem Einsatz der Awareness-Teams kommt es dort kaum zu Beschwerden, da diese den Jugendlichen vor Ort auf Augenhöhe begegnen, jugendgerecht handeln und im Interesse der Anrainer:innen für weniger Lärm und Müll sorgen.«

– Theresa Schneckenreither, Klubobfrau der Grünen Margareten. E‑Mail an einen Anwohner

Was wäre daran so schwierig? Vielleicht möchte der Bürgeranwalt einmal jemand von diesem Awarness-Team einladen oder die Bezirksrätin, die diesen Vorschlag eingebracht hat?

Mittlerweile ist das Thema auch im Gemeinderat angekommen. Wie wir einem Beschlussantrag entnehmen konnten:

»Der Wiener Gemeinderat ersucht den amtsführenden Stadtrat für Bildung, Jugend, Integration und Transparenz, die Awareness-Teams auf die Wientalterrasse aufzuweiten, um der Vermittlung zwischen Anrainer:innen und feiernden Jugendlichen gerecht zu werden.«

eingebracht von GR Ömer Öztas (GRÜNE)

(Dieser wurde jedoch laut Auskunft des Einbringers von SPÖ, NEOS, ÖVP und FPÖ abgelehnt.)

… finanziert über das Kommunikationsbudget?

Und zur Finanzierung gäbe es – wie schon öfters erwähnt – auch einen Vorschlag: Das millionenschwere Kommuni­kations­budget der Stadt Wien anzuzapfen, mit dem sich die Stadtregierung vor allem freundliche Berichterstattung erkauft. Diesen Missbrauch von Steuergeldern zu beenden und das Geld in eben solche Awareness-Teams umzuleiten, wäre in jeder Hinsicht ein Gewinn.


Quellen

Dossier. Wiener Biotop, Dossier 17.10.2022 🌐

ORF. Bürgeranwalt, 24. Juni 2023 🌐

GR Ömer Öztas (GRÜNE). Beschluss-(Resolutions-)Antrag … für den Gemeinderat am 27.06.2023 - 28.06.2023. Ausweitung der Awareness-Teams auf die Wientalterrasse! 🌐

Stadt Wien. Beratung der Geschäftsgruppe Bildung, Jugend, Integration und Transparenz (Auszug)

Texttrenner

Dieser Artikel ist Teil der
Serie Wientalterrasse

  • 30.09.2022 „Wirbel“ auf der Wientalterrasse
    Ein klassischer Nutzungskonflikt im urbanen Raum.
  • 21.06.2023 So geht das nicht!
    Der Konflikt um die Wientalterrasse schaukelt sich hoch. Wegschauen oder der Verweis auf den Polizeinotruf helfen hier nicht. Die Stadt Wien sollte das Thema der Vereinbarkeit von Nachtruhe mit konsumfreien Räumen aktiv aufgreifen und einer dauerhaften Lösung zuführen. Andernfalls torpediert sie ihre eigenen Vorhaben – die »zukunftsfite Gumpi« und »Reinpi« eingeschlossen.
  • 19.11.2023 Wientalterrasse – der Volksanwalt hat nachgefragt
    Was sich seit der Bürgeranwalt Sendung vor rund 3 Monaten verändert hat – Reaktionen der Behörden und Anrainer – und ein praktikabler Lösungsansatz.

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Kategorie Gesellschaftspolitik

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