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Awarenessteams auf der Wiental­terrasse

Die Stadt nimmt sich erstmals des Lärm­problems an. Diesen Sommer betreut AwA* auch die Wientalterrasse.

»Wenn Politiker dieser Stadt über ein zukunftsfähiges, klimafittes, lebenswertes Wien sprechen, scheint klar, was zu tun ist: mehr Bäume und Pflanzen, bessere Öffis, mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer, bessere Aufenthaltsqualität für die Menschen, energieeffizientes und leistbares Wohnen und so weiter. Ein Thema wird fast immer ausgespart, warum, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Es ist der Lärm.«

– Teresa Wirth. Wo bleibt der Lärm um den Lärm? – Die Presse, 22. Februar 2024

Seit September 2022 verfolge ich nun schon die Entwicklung der Lärmsituation ausgehend von der ansonsten großartigen Wientalterrasse. Während diese tagsüber zur Erholung aufgesucht wird, eskaliert des Nächtens die Situation dort immer wieder so weit, dass Anrainer um ihren Schlaf gebracht werden.

Die Situation ist insofern besonders heikel, als es sich bei der Linken Wienzeile um eine der lautesten Straßen Österreichs handelt – verstärkt noch durch die U‑Bahn sowie die U2/U4-Dauerbaustellen. Das Zeitfenster für Erholung vom Lärm, oder um auch nur einmal die Fenster öffnen zu können, ist klein. Es beginnt mit dem Betriebsschluss der U4 um Mitternacht. Wenn gerade dann auf die Terrasse mitgebrachte Musikanlagen voll aufgedreht werden, ist die 24‑Stunden Dauerbeschallung der Anrainer perfekt.

Lärmkarte – das Gebiet rund um die Wientalterrasse gehört zu den lautesten überhaupt. Das Dunkelviolett steht für > 75dB im Tagesdurchschnitt und in 4 m Höhe gemessen. Tagsüber liegen die Werte nochmals höher. Daher kommt der Nachruhe dort eine besondere Bedeutung zu. Lärminfo.at. BM für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK)

Die Folgen dauerhafter Lärmbelastung sind fatal: Das BMK hat auf Basis der Lärmkartierung errechnet, dass 2022 durch Straßenverkehrslärm in Ballungsräumen 317.458 Einwohner sich stark belästigt fühlen, 101.157 leiden an starken Schlafstörungen und zu Herzkrankheiten führt diese Belastung bei 480 Menschen. Natürlich übersteigt der Verkehrslärm im Wochendurchschnitt bei weitem den von der Terrasse ausgehenden. Letzterer verschlimmert die Situation aber signifikant, indem er die Expositionszeit, also die Dauer, der die Anrainer irgend einer Schallquelle ausgesetzt sind, vergrößert.

Anträge und ein verstörendes Telefonat

Auf Gemeindeebene und in der Bezirksvertretung Margareten waren von den Grünen Anträge zum Einsatz von »Awarnessteams« (AwA) eingebracht worden. Der im GR wurde abgelehnt, jener in Margareten angenommen. Der Einsatz der AwA scheint sich auch einer relativ großen Zustimmung im politischen Spektrum zu erfreuen: Vertreter der Grünen, der Neos und der SPÖ haben sich grundsätzlich positiv zum AwA-Einsatz auf der Wientalterrasse geäußert. Die ÖVP schweigt beharrlich und die FPÖ ist grundsätzlich gegen sowohl »dubiose Vereine« als auch gegen »diese Parks und Bankerl«. In einem Telefonat meinte Leo Kohlbauer (Obmann der FPÖ in Wien-Mariahilf) sinngemäß: »Es sei immer dasselbe mit solchen von Rot/Grün errichteten Parks und Bankerl: Am Papier sehen sie schön aus – werden dann aber von Problemklientel aufgesucht.« Die Frage, ob die FPÖ generell gegen die Errichtung von Parks und Bankerl sei, verneint er. Wichtig sei aber »geeignete Orte« auszuwählen. Ein solcher sei beispielsweise der Bereich zwischen den Fahrspuren am Margaretengürtel bei der U-Bahn. Wer also zur Erholung demnächst an den Gürtel geschickt werden will, weiß nun, wen er zu wählen hat. Dieses Telefonat wurde von mir transkribiert an Herrn Kohlbauer übermittelt, um ihm die Gelegenheit zu geben, nochmals darüber nachzudenken und allfällige Missverständnisse auszuräumen. Wir dürfen also davon ausgehen, dass er sich hier richtig wiedergegeben fühlt.

Zu den »Bankerln« im Stadtgebiet: Diese sind für die Älteren oder körperlich Eigeschränkten unter uns unverzichtbar, um selbstständig unterwegs sein zu können. Wir brauchen daher mehr und nicht weniger davon – und ganz sicher nicht nur am Gürtel sondern rund um unsere Häuser alle 20 Meter eines! Dann verteilen sich übrigens auch die Nebenwirkungen besser. Weiters werden wir nicht umhinkommen, uns mit dem Verhalten im öffentlichen Raum intensiver auseinander setzen zu müssen. Egal ob lärmendes Verhalten, Hundstrümmerl oder zugestellte Gehwege, diese Themen gehören breit besprochen und gegebenenfalls durch entsprechend robustes Auftreten dafür geeigneter Personen geklärt. Sich mittels Zäunen, Polizeieinsätzen oder eben dem Abbau wichtiger Infrastruktur für Fußgänger um diese Kommunikationsaufgabe zu drücken, halte ich für ein ganz schlechte Politik.

Hoffnung keimt auf

Die Kommunikation mit der zuständigen MA 13 und dem AwA*-Verein gestaltete sich etwas zäh aber letztendlich steht nun fest: Die Wientalterrasse wird ab sofort an den Wochenenden vom AwA* Kollektiv betreut. AwA Team unterwegs am Donaukanal. Diesen Sommer wird auch die Wientalterrasse jeden Freitag und Samstag sowie vor Feiertagen in der Abendzeit bis ca. 4h besucht.

Wir waren an den vergangen beiden Wochenenden bereits auch vor Ort auf der Terrasse;

dabei haben wir u.a. für den kommenden Freitag eingeladen:

Am 24. Mai 2024, dem Nachbarschaftstag, wird es als Möglichkeit des Austausches einen open:space bei der Wientalterrasse geben. Ab 19:30 bis 22:00 Uhr können Nutzer*innen der Wientalterrasse und auch Anwohner*innen vorbeikommen. Das open:space Format soll dem allgemeinen Austausch dienen. Bei Schlechtwetter wird das Format um eine Woche verschoben. Wir freuen uns auf euer kommen!

mit besten Grüßen

_willi Hejda (pronomen: they/keine)

von/für AwA*

E-Mail des AwA* Kollektivs, 20. Mai 2024, gekürzt

Bedeutend für die ganze Stadt

Aber kann dieser kommunikative Ansatz überhaupt funktionieren? Aushang mit anonymen Reaktionen – wer sich über Ruhestörung beklagt, wird als »Nazi« und »assoziales Dreckschwein« beschimpft. Wir erinnern uns daran, dass Anrainer in der Vergangenheit auch schon übelst beschimpft wurden. Auch die Planer der Terrasse wurden bei der erstbesten Gelegenheit von »Wutbürgern« vehement und äußerst unsachlich in die Mangel genommen. Für die weitere Entwicklung dieser Stadt wäre die Befriedung dieses Vorzeigeprojektes jedenfalls von großer Bedeutung. Der Ausbau konsumfreier Aufenthaltsbereiche und die immer heißeren Sommer erfordern vermehrt Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der unterschiedlichen Gruppen. Von Seiten der Anrainer wird es für’s erste wohl auch etwas Geduld brauchen. Ein kommunikativer Ansatz ist kein Polizeieinsatz, der eine sofortige Wirkung zeitigt – aber wenn er gelingt sorgt er nachhaltig für Ruhe. »Bürgeranwalt – Nächtliche Ruhestörung«, privat aufgezeichnetes Video: »geht weiter du Hure«, »Fick dich du Fotze« – derzeit lässt die Awareness vor allem nachts auf der Wientalterrasse zu wünschen übrig.

Berichte, Bild- und Tonaufnahmen, welche die weitere Entwicklung zeigen, nehme ich weiterhin gerne entgegen. Von Seiten des ORF und Bürgeranwalts wurde ebenfalls bereits gebeten, die Erfahrungen mit diesem vergleichsweise neuen Ansatz zu teilen.

In diesem Sinne wünsche ich dem AwA* Kollektiv gutes Gelingen, einen langen Atem – und uns allen einen schönen Sommer, mit Nächten die lau aber nicht laut sind.


Quellen

Homepage des erwähnten Vereins AwA*: https://awa-stern.info/public-space/

Teresa Wirth. Die Presse, 22.02.2024. Wo bleibt der Lärm um den Lärm? 🌐

ORF.at. Wiener Awareness-Teams starten wieder 🌐

BMK. Abgeleitete Gesundheitsauswirkungen Lärmkartierung 2022 🌐

Alice Senarclens De Grancy, Die Presse, 02.02.2024. Ruhe, bitte! Aber wie? 🌐

Telefonat mit Leo Kohlbauer, Obmann FPÖ Mariahilf (transkribiert)

Lärmkarten

BM für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK). Lärmkarte Straßenlärm. Fokus Wientalterrasse 🌐

BM für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK). Lärmkarte Schienenlärm. Fokus Wientalterrasse 🌐

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Dieser Artikel ist Teil der
Serie Wientalterrasse

  • 30.09.2022 „Wirbel“ auf der Wientalterrasse
    Ein klassischer Nutzungskonflikt im urbanen Raum.
  • 21.06.2023 So geht das nicht!
    Der Konflikt um die Wientalterrasse schaukelt sich hoch. Wegschauen oder der Verweis auf den Polizeinotruf helfen hier nicht. Die Stadt Wien sollte das Thema der Vereinbarkeit von Nachtruhe mit konsumfreien Räumen aktiv aufgreifen und einer dauerhaften Lösung zuführen. Andernfalls torpediert sie ihre eigenen Vorhaben – die »zukunftsfite Gumpi« und »Reinpi« eingeschlossen.
  • 19.11.2023 Wientalterrasse – der Volksanwalt hat nachgefragt
    Was sich seit der Bürgeranwalt Sendung vor rund 3 Monaten verändert hat – Reaktionen der Behörden und Anrainer – und ein praktikabler Lösungsansatz.
  • 22.05.2024 Awarenessteams auf der Wiental­terrasse
    Die Stadt nimmt sich erstmals des Lärm­problems an. Diesen Sommer betreut AwA* auch die Wientalterrasse.

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Kategorie Gesellschaftspolitik

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