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Hitzeschneise Wienfluss

Thermalkarten decken auf: Der Wienfluss bringt keine Kühlung mehr in die Stadt.

Klimaanalyse (nächtliche Situation) der Stadt Wien und des Umlands. Die Gewässer sind als besonders kühle Flächen in blau gezeichnet und gut zu sehen – alle bis auf eines ...

Thermalkarten erfreuen sich in letzter Zeit großer Beliebtheit. Wer sie aufmerksam studiert, wird nicht umhin kommen, ein Wiener Phänomen zu entdecken. Im Allgemeinen wirken Gewässer ja kühlend und sind dementsprechend in einem kühlen Farbton, meist in Blau dargestellt. Also sollten Gewässer und Hitzekarten in dieser Hinsicht doch deckungsgleich sein?

Das sind sie auch bei den meisten Wiener Gewässern: Allen voran die Donau inklusive der Altarme aber auch der Donaukanal und sogar die Teiche im Stadtpark sind auf Thermal- und Klimakarten als türkis-blaue Bänder deutlich zu sehen. Doch halt – fehlt da nicht noch ein ganz wesentliches Gewässer? War da nicht ein Fluss, der Wien den Namen Oder war es umgekehrt? Die Historiker sind sich in dem Punkt nicht einig. gab? Ja richtig! – der Wienfluss, auf Gewässerkarten klar zu sehen, fehlt auf den Klimakarten.

Klima- und Gewässerkarte nebeneinander gestellt. In der linken, Klimaanalysekarte sollte eigentlich eine blaue Linie den kühlen Wienfluss anzeigen – stattdessen sehen wir dort gelb-rote Hitzeinseln. Einzig der Stadtpark mit seinen Bäumen und Gewässern ist grün und blau. Rechts ein ähnlicher Ausschnitt aus der Gewässerkarte, welcher die Lage des auf Klimaanalysekarte »verschwunden« Wienflusses zeigt.
Thermalbefliegung abends - auch bei dieser Karte, welche laut Broschüre der Stadt Wien sehr direkt die abgestrahlte Temperatur anzeigt, ist der Wienfluss »verschwunden«. Im vergrößert dargestellten Bereich des Naschmarkts sind sogar Höchsttemperaturen zu sehen.

Wer sich vor Ort auf die Suche nach den Ursachen macht, findet einen scheinbar monströs über­dimensio­nierten, offenen Kanal vor. In Kombination mit dem Umstand, dass die Wienflussregulierung – sagen wir es vorsichtig – nicht gerade naturnah gebaut wurde, haben wir derzeit eine enorme, nicht beschattete Speichermasse, welche bis in die innerste Stadt führt. Das kaum wahrnehmbare Bächlein irgendwo unten in diesem Graben kühlt natürlich nicht mehr relevant.

»Der Parkplatz ist eine einzige Betonwüste, und das zeigt auch die Messung des Bodens: 42,4 Grad. Die Autos dort sind kleine Backöfen« Krone am 8.7.2021 Ab dem Rüdigerhof, also beim heiß umkämpften Naschmarktparkplatz, bis zum Wienflussportal am Stadtpark verschwindet dieses Gewässer dann überhaupt unter einem Steingewölbe. Auf dieser Platte, am Naschmarkt werden im Sommer regelmäßig Höchsttemperaturen erfahren: Der Asphalt glüht, auf den brennend heißen Autos könnte mensch sich eine Eierspeis braten und wer lieber ins Auto einsteigt, muss aufpassen sich nicht am Lenkradl zu verbrennen.

Der kühle Wind wird nach oben gerissen

Die Wienfluss-Verbauung hat natürlich Folgen für das Stadtklima. Grundsätzlich würde vom Wienerwald ein kühles Lüftchen in die Stadt wehen. Doch lange bevor dieses die Innenbezirke erreichen kann, wird es von den bruzzelheißen Steinplatten der Flussregulierung in die Höhe gerissen. Die potentielle Frischluftschneise wird so zur faktischen Hitzeschneise.

Klimafunktionskarte Stadt Wien (Ausschnitt). Der »nächtliche kühle Bergwind« (O-Ton Legende, als blau umrandete Pfeile eingezeichnet) bleibt in Schönbrunn stecken.

Und was tun wir jetzt?

Dass ein Gewässer, welches die Stadt kühlen könnte, diese stattdessen weiter aufheizt, ist freilich ein Skandal. Doch diesen abzustellen erscheint kompliziert und auf der Suche nach Lösungen werden wir uns auch mit der Geschichte des Wienflusses auseinander setzen. → Die Geschichte des Wienflusses  Vorab, zur Einstimmung schon einmal ein Blick in die Vergangenheit: Ein Gemälde, das den Wienfluss-Kanal am Ende des vorletzten Jahrhunderts zeigt, als dieser noch zugänglich war.

Der Wienfluss oberhalb der Pilgrambrücke im Jahr 1884. Ein großflächiger Wasserspiegel bedeckt die Sohle. Für die Anwohner war sie zugänglich zum Baden, Plantschen oder um Wäsche zu waschen. Dank Kanalisation ist die heutige Wasserqualität sicherlich besser als damals. Absurder Weise ist uns aber nun der Zugang verwehrt.


Siehe auch

Dieser Artikel ist Teil der Wienfluss Serie.

Im Forum Wienfluss tauschen sich am Thema interessierte Menschen aus.

Die Wien auf Mastodon.


Bildnachweise

Stadtklimaanalysekarte: Wiener Stadtklimaanalyse als Grundlage für Planungsprojekte (https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/grundlagen/stadtforschung/stadtklimaanalyse.html)

Thermal- und Windkarten: Urban Heat Islands (UHI) - Strategieplan Wien (https://www.wien.gv.at/umweltschutz/raum/uhi-strategieplan.html)

Gewässerkarte: Stadtplan Wien (https://www.wien.gv.at/stadtplan/)

Ferdinand Weckbrodt (Künstler), Ansicht des Wehr im Wienfluss oberhalb der Pilgrambrücke, 1884, Wien Museum Inv.-Nr. 312, CC BY 4.0

Erratum

In einer älteren Version war die Stadtklimaanalysekarte fälschlich als Thermalkarte bezeichnet, was im Kontext dieses Artikels aber keinen wesentlichen Unterschied macht. Dennoch wurde das nun richtig gestellt und der Bildnachweis nachgeholt.

Texttrenner

Dieser Artikel ist Teil der
Serie Wienfluss

  • 28.07.2022 Hitzeschneise Wienfluss
    Thermalkarten decken auf: Der Wienfluss bringt keine Kühlung mehr in die Stadt.
  • 10.08.2022 Die Geschichte des Wienflusses
    Vom Gebirgsfluss zur Hitzeschneise.
  • 21.08.2022 Das Wienfluss-Portal im Stadtpark
    Alte Pläne zeigen, wie attraktiv Gewässer mitten in der Stadt gestaltet werden könnten.
  • 13.09.2022 Vom Kanal zum Flussraum
    Überlegungen zu einer zeitgemäßen Flussraumgestaltung
  • 28.09.2022 Geschichten von der Nevillebrücke
    Wird der Verkehrsknotenpunkt noch zum Coolspot?
  • 20.11.2022 Mehr Grünes für den Kanal!
    Die Überlegungen zur Begrünung des Wienflusskanals sind weiter fortgeschritten als allgemein bekannt – sie wären auch rasch umsetzbar.
  • 17.08.2023 Den Wienfluss-Kanal erfahren!
    Wir haben die Strecke für den in Diskussion befindlichen Rad-/Fußweg unten im Wienfluss-Kanal vorab befahren und Erstaunliches entdeckt: Der Wienfluss-Kanal ist bei näherer Betrachtung alles andere als tot, die Perspektiven von unten hoch spannend und von einer einmaligen Ästhetik.
  • 18.01.2024 Die Auferstehung der Markthalle?
    Wer glaubt, die Markthalle am Naschmarkt wäre vom Tisch, muss möglicherweise umdenken. Ein 8 Meter hoher, verglaster Würfel aus Stahl wirft Fragen auf.
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