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Den Wienfluss-Kanal erfahren!

Wir haben die Strecke für den in Diskussion befindlichen Rad-/Fußweg unten im Wienfluss-Kanal vorab befahren und Erstaunliches entdeckt: Der Wienfluss-Kanal ist bei näherer Betrachtung alles andere als tot, die Perspektiven von unten hoch spannend und von einer einmaligen Ästhetik.

Inhalt

»Die Zeiten in denen der Wienfluß kaum zugänglich ist und sich weitgehend unserer Wahrnehmung entzieht, könnten bald der Vergangenheit angehören. […] ist die Errichtung eines Rad- und Fußweges vorgesehen. […] Kreuzungsfrei vom Donaukanal bis zum Wienerwald!«

– Der neue Wienfluss, MA45, März 2001 –

»Bald« ist ein dehnbarer Begriff wie wir wissen. Immerhin haben wir seit 2010 mit dem Wientalradweg von Hütteldorf bis Hietzing einen Freizeitweg, den Radfahrer und Fußgänger gleichermaßen nützen dürfen. Doch die Verbindung weiter in die Stadt hinein harrt ihrer Umsetzung. Wir haben die gesamte Strecke zwischen Hütteldorf bis knapp vor der Mündung in den Donaukanal wortwörtlich erfahren.

Von Hütteldorf bis zur Furt beim Hackinger Steg

Vorweg: Teile dieser Strecke sollten nur mit Genehmigung und gut vorbereitet gefahren werden! Wir treffen uns in Hütteldorf, dort wo der Halterbach in die Wien mündet und diese sich teils geplant, teils aus eigener Kraft renaturiert hat. Hier plätschert das Wasser und schnattern die Enten. Mitten im saftigen Gras und Schilf wachsen Wassermelonen – gekeimt aus den Überreste eines Picknicks vom Vorjahr? Solche überraschenden Gewächse werden wir weiter unten auch noch finden.

Die Wien bei Hütteldorf …
… erstrahlt seit 2014 in grün. Reichhaltige Vegetation im und um das Gerinne – zugänglich über Stufen, direkt vom Freizeitweg aus. Diese sind – da in Flussrichtung angeordnet – hochwasser-kompatibel und können als Sitzgelegenheiten genutzt werden.
Stockenten fühlen sich dort wohl und sind häufig zu sehen.
Furt zwischen Hackinger Steg und U4-Querung – hier endet der naturnahe Abschnitt, der sich im Rückstau von alleine und ungeplant entwickelt hat.


U4-Querung beim Hackinger-Steg bis Kennedy-Brücke

Ab der künstlich geschaffenen Furt beim Hackinger Steg wird es deutlich betonlastiger. Abgesehen von ein wenig Fugengrün besteht das gesamte Bauwerk nur aus Stein. Trotzdem wird es von Spaziergängern genutzt. Aber natürlich ist das ein enormer, der Sonne vollkommen ausgesetzter Hitzespeicher. Die tagsüber aufgenommene Wärme hindert die kühlen Westwinde zuverlässig daran, bis in die innere Stadt zu gelangen, wo Abkühlung immer wichtiger wird.

Vereinzelt nutzen Unentwegte diesen Raum schon heute. Dank Wientalradweg ist er seit über 10 Jahren zugänglich.
Mehr Kanal als Flussraum
Hitzespeicher der Extraklasse, südexponierte, braunschwarze Steinmauern.
Sitzgelegenheiten gibt es nur vereinzelt. Klassische Parkbänke kommen wegen des Hochwassers nicht in Frage. Doch wie wäre es mit den von der Donauinsel bekannten Betonbänken – gegebenenfalls so umgestaltet, dass sie weniger Abflusswiderstand hervorrufen?
Tschau Freizeitweg – dieser entschwindet hier nach oben. Doch wir bleiben unten, jetzt wird es spannend …

Hietzing bis Gürtel

Ab hier ist das Betreten des Wienflussbettes verboten, weil die Gefahr, von einer Hochwasserwelle erwischt zu werden, leider nur schwer und mit einiger Sachkenntnis zu bewerten ist. Das Wasser der Wien speist sich aus den Wienerwaldbächen, welche sehr rasch anschwellen – auch dann, wenn in Wien noch die Sonne scheint.

Dennoch ist gerade der an die Kennedybrücke direkt anschließende Teil einer der schönsten und sollte von den beiden angrenzenden Parks – Hadikpark links, Coudenhove-Park rechts, für alle sicher erschlossen werden können.

Hietzing – links die Bäume des Hadikparkes, rechts der Otto Wagner Hofpavillon
Schilf – im Hintergrund rasten Mensch und Hund. In diesem Bereich ist dies – so schön er ist – nicht ungefährlich, weil schnell erreichbare Zu- und Abgänge derzeit noch fehlen.
Reichhaltige Vegetation – die so manchen teuer gestaltete Blumenrabatte in den Schatten stellt.
Goldregen und andere Pflanzen bieten den Insekten Nahrung.

Weiter geht es in Richtung U4-Station Meidlinger Hauptstraße. Hier ist der Wienfluss erstmals über eine längere Strecke überplattet und es wurde und wird massiv in die Kaltluftschneise hinein gebaut. Unklar ist, ob die Wirkung der Gebäude auf den Luftstrom jemals abgeschätzt und berücksichtig wurde.

Meidlinger Platte voraus. Rechts im Bild das U4-Einkaufszentrum und die Kräne für eine damals noch laufende Verbauung.
Tunnelfeeling – die Durchfahrt erfordert höchste Konzentration wegen der Schlaglöcher und rutschigen Algenbeläge. Eine gute Einstimmung auf das, was noch kommt.
Perspektivwechsel – im Rückblick und vor allem von unten, schaut die uns bekannte Stadt ganz anders aus.
Erlenbüsche – auch in diesem eigentlich nicht renaturierten Bereich, mitten in der Stadt, wachsen immer wieder Gehölze. In ihrem Schutz gedeihen andere, wie hier die Pfefferminze. Sobald das Wasser der Wien dank Wientalkanal sauber ist, hätten wir hier einen Kräutergarten mitten in der Stadt.
Es blüht und gedeiht an allen möglichen und unmöglichen Stellen.
Feigenbäume wachsen direkt aus der Wand.


Innenstadt

Mariahilf, Margareten bis Naschmarkt

Das Querschnittsprofil des Wienflusskanals ändert sich bis zum Naschmarkt kaum noch. Doch die zahlreichen »Brücken« und Bauten entlang der Wienzeilen zeigen an, dass wir in der Innenstadt angelangt sind. Es grüßt die grüne Nevillebrücke …

Grüne Nevillebrücke. Margareten und Mariahilf waren die ersten und bisher einzigen Bezirke, welche sich zu einer Begrünung der Mauern und hier vor allem der Brücke durchringen konnten. Die Begrünung erfolgt von oben und ist damit Hochwasser-sicher.
Unter der Nevillebrücke herrscht dank des herabhängenden Weins und der Nähe zum Wasser auch des Sommers ein sehr angenehmes Klima, wohingegen es auf der unbeschatteten Brücke viel zu heiß ist.

Dem natürlich coolen Platz unter der Brücke, widmen wir uns im Artikel → Geschichten von der Nevillebrücke. Wird der Verkehrsknotenpunkt noch zum Coolspot?

Zahlreiche Brücken – ausgeführt als partielle Überplattungen – geben dieser »Flusslandschaft« einen eigenen, urbanen Reiz. Welche Stadt kann bei so etwas mithalten?
Mariahilfer Schilfgürtel
… und Tomaten. Wie auch immer es Tomatensamen in den Fluss gespült hat, es scheint wie wenn dieses Nachtschattengewächs hier »heimisch« geworden wäre.
Ein Blick zurück Richtung stadtauswärts zeigt Mariahilf einmal mehr aus einer ganz anderen Perspektive.
Rüdiger Hof – jetzt geht es in den Untergrund …

Tunnel: Naschmarkt bis Stadtpark

Der Tunnel ist heute weitestgehend unbeleuchtet und ob seiner Länge auch mit dem Fahrrad nicht so schnell zu durchqueren. Am Weg liegt ein Notausgang, der über eine Treppe auf den Naschmarkt führt sowie die Einmündung des Ottakringer Baches.

Kanalgefühle – die sich bei genauer Betrachtung des Wassers aber relativieren. Es plätschert kristallklar und ohne zu müffeln in seinem Gerinne, das an diesem Tag großzügig Platz auf beiden Seiten lässt.
Ausgang zur Kettenbrückengasse (dieser ist aber im Allgemeinen oben versperrt)
Niedriger Wasserstand und eine kräftige Fahrradbeleuchtung helfen uns erheblich.
Lichtinstallationen der »Dritte Mann Tour«
Licht am Ende des Tunnels – der Stadtpark lässt grüßen.

Stadtpark

Hier endet unsere Tour. Über Treppen, die einstmals für einen Eislaufplatz auf der gefrorenen Wien angelegt wurden, verlassen wir den Wienflusskanal.

Tageslicht und vergleichsweise viel Grün begrüßen uns am Stadtpark. Wenn die Sohle jetzt noch mit Wasser bedeckt wäre, hätte dieser Ort gleich eine ganz andere Qualität.

Auffällig hier, die senkrechten Mauern und das Portal sind begrünt. Dies war ursprünglich anders geplant. Doch weil der Stadt Wien rund um die vorletzte Jahrhundertwende das Geld ausging, wurde das unfertige Bauwerk solcherart kaschiert. Der damalige Bürgermeister, Dr. Lueger soll beim Anblick des Ohmannschen Wienabschlusswerkes geäußert haben: »Nur recht viel Grün, damit man nichts sieht.« Heute sind wir froh um das Grünzeug, wenn auch eine aufgestaute Wien dem Ensemble einen merklichen Mehrwert verleihen würde.

Begrünte Mauern …
… sind nicht nur schön sondern geben auch Insekten und Vögeln Nahrung.
Zugänge, heute leider allesamt verschlossen …
… oder gleich zugemauert, wie hier die Aufgänge zur heutigen Meierei bieten sich an, den Zugang zum Wasser in einer zeitgemäßen und sicheren Form wieder zu ermöglichen.

… aber hoffentlich bald!

Eine unglaubliche Reise entlang des Flusses, der Wien seinen Namen gab, geht zu Ende. Von oben aus dem Stadtpark schallt ein gut gelauntes »Dös is aber ka Radlweg?« herab. Wir antworten mit »Nein leider, noch nicht – aber hoffentlich bald!«

Das letzte Stück bevor wir unsere Räder über Treppen hinauf in den Stadtpark und damit die Alltagshektik tragen. Schade, dass solche Fahrten nur genehmigt und mit besonderen Vorkehrungen möglich sind.


Siehe auch

Dieser Artikel ist Teil der →Wienfluss Serie


Quellen

Der neue Wienfluss. Magistrat der Stadt Wien – MA 45

Wasser Stadt Wien. Zentrum für Umweltgeschichte der Universität für Bodenkultur Wien.

Nur recht viel Grün! Das Wienfluss-Portal im Stadtpark, von Dr. Iris Meder


Bildnachweise

Farbphotographien Ingo Lantschner, August 2022

Texttrenner

Dieser Artikel ist Teil der
Serie Wienfluss

  • 28.07.2022 Hitzeschneise Wienfluss
    Thermalkarten decken auf: Der Wienfluss bringt keine Kühlung mehr in die Stadt.
  • 10.08.2022 Die Geschichte des Wienflusses
    Vom Gebirgsfluss zur Hitzeschneise.
  • 21.08.2022 Das Wienfluss-Portal im Stadtpark
    Alte Pläne zeigen, wie attraktiv Gewässer mitten in der Stadt gestaltet werden könnten.
  • 13.09.2022 Vom Kanal zum Flussraum
    Überlegungen zu einer zeitgemäßen Flussraumgestaltung
  • 28.09.2022 Geschichten von der Nevillebrücke
    Wird der Verkehrsknotenpunkt noch zum Coolspot?
  • 20.11.2022 Mehr Grünes für den Kanal!
    Die Überlegungen zur Begrünung des Wienflusskanals sind weiter fortgeschritten als allgemein bekannt – sie wären auch rasch umsetzbar.
  • 17.08.2023 Den Wienfluss-Kanal erfahren!
    Wir haben die Strecke für den in Diskussion befindlichen Rad-/Fußweg unten im Wienfluss-Kanal vorab befahren und Erstaunliches entdeckt: Der Wienfluss-Kanal ist bei näherer Betrachtung alles andere als tot, die Perspektiven von unten hoch spannend und von einer einmaligen Ästhetik.
  • 18.01.2024 Die Auferstehung der Markthalle?
    Wer glaubt, die Markthalle am Naschmarkt wäre vom Tisch, muss möglicherweise umdenken. Ein 8 Meter hoher, verglaster Würfel aus Stahl wirft Fragen auf.