Varia
... von Ihren Experten für eigentlich eh fast alles.
Mehr Grünes für den Kanal!
Die Überlegungen zur Begrünung des Wienflusskanals sind weiter fortgeschritten als allgemein bekannt – sie wären auch rasch umsetzbar.
Inhalt
Vielleicht haben sich Menschen dieser Stadt schon viel früher mit der Frage beschäftigt: „Kann man die grauen Hochwasserschutzmauern entlang der Wien nicht begrünen?“ Auffallend ist, dass viele Vorschläge zur „Renaturierung“ der Wien sich nur auf die Sohle konzentrieren (auch jene der Studie der TU aus 2000), die Wände aber belassen wurden, wie sie sind. Aktenkundig sind jedenfalls erste Projektentwürfe zur Wandbegrünung von der Wiener Umweltschutzabteilung aus 2007 bzw. 2008: Das sogenannte „Biotopmonitoring“ der MA 22 – die quantitative und qualitative Analyse der Vegetationsausstattung des Stadtgebietes von Wien durch Interpretation von Farbinfrarot-Luftbildern – bestätigte dringenden Handlungsbedarf in Margareten und Mariahilf. Die Wien mit ihren großen Beton- und Steinflächen liegt zwischen diesen beiden Bezirken . Die meist trockene Sohle und die Wände machen zusammen mehr als 25 m²/lfm aus. Das ergibt ~2.500 m² trockene Steinmauer je 100 m Wienflusskanal.
Diese Flächen bieten sich für Sofort-Begrünungsmaßnahmen jedenfalls an – unabhängig von den langwierigen Baumaßnahmen → Der Wienfluss heute für den Wientalkanal. Dieser Pufferspeicher wird nach seiner Fertigstellung 2028 wesentlich dazu beitragen, die Hochwasserwelle abzuflachen und verbessert damit die Hochwassersicherheit. Schon im Stadtentwicklungsplan 2005 waren unter dem Titel „Den Gewässern Raum geben“ Ziele formuliert worden: Keine weitere Eindeckungen der Wien, Gewässerverbindung Wienerwald-Donauraum, die Vielfalt an Lebensräumen erhöhen („Biodiversität“), Hitzeabstrahlung vermeiden, Temperaturreduktion durch Verdunstungskälte, Beschattung, Ingangsetzen von Durchlüftungsprozessen, Staubbindung etc.
Dem Team in der MA 22 um Bruno Domany war klar: Eine klassische Bepflanzung oder Wandbegrünung ist im Wienflusskanal nicht möglich: Auf beziehungsweise in der Betonsohle kann kaum ausreichend Wurzelraum für Sträucher geschweige denn Bäume geschaffen werden. Sie wären in der Enge des innerstädtischen Regulierungsprofils im Hochwasserfall unbeherrschbare Risiken, könnten entwurzelt werden, Verklausungen verursachen. Auch eine übliche Wandbegrünung ist nicht möglich: Rankgerüste verbieten sich aus hydraulischen Gründen, Haftorgane von Pflanzen →Kletterpflanzen für die Stadt wie dem Wilden Wein würden der Erosionskraft strömenden Wassers nicht standhalten; die vielen, in die Jahre gekommenen Mauerfugen würden durch den Klettermeister Efeu eventuell sogar zerstört, Kontrollen der Standfestigkeit der Mauern erschwert werden. Und dann ist da noch der Denkmalschutz, der Eingriffe in das grandiose Bauwerk Otto Wagners, in sein international bekanntes, stadtbildprägendes Geländer, typologisch für viele Kilometer Wienfluss- und Stadtbahnmauern, kaum zulässt.
Hängende Gärten
Die Hängenden Gärten der Semiramis, auch die „Hängenden Gärten von Babylon“ genannt, waren nach den Berichten griechischer Autoren eine aufwendige Gartenanlage in Babylon (heutiger Irak). Sie zählten zu den sieben Weltwundern der Antike. Der Zündfunke waren dann „Die Hängenden Gärten der Semiramis“: Der Wurzelraum wird oben, auf oder hinter der Hochwasserschutzmauer, auf den Brücken, eventuell in Trögen angeordnet. Die Pflanzen – zum Beispiel der fünfblättrige Wilde Wein – hängen hinunter; auch die meterlangen Triebe des Efeus – im Herbst für Bienen eine wichtige Nahrungsquelle – oder die des immergrünen Geißblattes schwingen frei, wenn sie nach unten über senkrecht stehende Mauern wachsen. Sie brauchen zwar künstliche Bewässerung; aber der Wurzelraum ist vor Hochwasser geschützt, die Pflanzen werden nur bei sehr hohen Wasserständen, also in großen Zeitabständen höchstens gerupft – wachsen aber infolge des intakten Wurzelsystems schnell wieder nach.
Die MA 22 hat damals schon detaillierte Pläne ausgearbeitet: Die in Flussrichtung linke Ufermauer würde mit einem Pflanzenvorhang beschattet. Dieser wurzelt in Pflanzgruben, die entlang der Linken Wienzeile versenkt werden.
Domany erinnert sich:
„Die Widerstände gegen diese Überlegungen waren 2007 erheblich, die Bedenkenträger in der Mehrzahl. Die Ergebnisse der Fachtagungen GRÜNbeDACHt und GRÜNgeWANDt, die die MA 22 in den Jahren 2008 und 2009 veranstaltete, waren noch nicht Allgemeinwissen. Und es wurde befürchtet, dass die Sicht auf die Otto Wagner Geländer durch die vorgeschlagene Bepflanzung beeinträchtigt werden könnte. Auf der Nevillebrücke wurde die Begrünung dann vor allem dank Unterstützung durch den damaligen Bezirksvorsteher Wimmer genehmigt und in den Verhandlungen sogar zur kompletten Sperre der Brücke für den MIV weiterentwickelt.“
Da der größere Bereich der Brücke aber zu Mariahilf gehört, wurde die Detailplanung der Oberflächengestaltung primär vom 6. Bezirk durchgeführt und mit Margareten abgestimmt. Die Kosten der Umgestaltung haben sich die Bezirke dann wieder geteilt.
Luftbildaufnahme – zwei schmale, grünen Streifen, mit roten Pfeilen gekennzeichnet, sorgen für das üppige Wachstum der Brückenbegrünung. Auffällig bei der Begrünung der Nevillebrücke ist, dass aus einem dezent kleinen Erdkörper, welcher sich oberflächlich kaum wahrnehmbar ans Brückengeländer schmiegt, eine so mächtige, grüne Pracht erwächst. Die im Aufbau der Brücke versenkten Pflanztröge sind nur 90 cm breit.
Dank einer eingebauten Bewässerung verdursten die Pflanzen nicht. So können sie mittels ihrer enorm großen Blattoberfläche die Baumasse nicht nur beschatten, sondern auch noch kühlen. Im Winter wirft der Wein seine Blätter ab, so dass die in der kalten Jahreszeit erwünschte Wärme gespeichert werden kann. In der laublosen Zeit ist auch die Mauerkontrolle leicht möglich. Also eine nahezu technikfreie „Klimaanlage“, die daher kostengünstig im Betrieb bleibt.
Modell für den gesamten Wienfluss-Kanal
Dieses Konzept, aus schmalen Pflanzgefäßen heraus etwa 100.000 m² Mauerfläche zu begrünen und damit abzuschatten, wäre ausbaubar. Große Teile des Wienflusskanals könnten so „thermisch saniert“ werden.
Diese kaum genutzten Gehwege bieten genug Platz für Pflanzen, deren Triebe dann durch das Geländer hindurch nach unten fallen. Platz dafür wäre genug vorhanden. Zwischen dem Otto-Wagner Geländer und der linken Fahrspur befindet sich ein weitestgehend ungenutztes Trottoir. Von diesem würde ein Teil durch den im Untergrund geschaffenen Wurzelraum beansprucht werden. Ein derzeit vollkommen toter Raum könnte entsiegelt werden und bekäme eine wichtige mikroklimatische Funktion.
Die Platzierung solcher „Grünvorhänge“ sollte den Plänen der MA 22 folgend, testweise zum Beispiel im Bereich der Esterházygasse erfolgen – dort wo im Sommer schon einmal über 50°C gemessen werden. Dieses Konzept fand damals aber keine Zustimmung bei den zuständigen Bundesbehörden und Magistratsabteilungen.
Der brennheiße Naschmarktparkplatz als Weckruf
Der „gelbe Aktionismus“ und Experteninterviews führten zu einem Umdenken. Dort wo früher schon einmal ein Großmarkt stand und infolge dessen Verlagerung nach Inzersdorf (Großgrünmarkt) jahrzehntelang ein trostloser, kahler Asphaltsee mitten in der Stadt als Parkplatz genutzt wurde, hätte, wie wir wissen, auf der stadtauswärtigen Hälfte der Fläche ein Park errichtet werden sollen. Für die restlichen Fläche war die (Wieder)errichtung einer Markthalle geplant.
Gleich zwei Bürgerinitiativen traten dagegen auf: Der Freiraum Naschmarkt, bekannt durch seine gelben Transparente, und die von Studenten der Boku lancierte Initiave Freier Naschmarkt. Letztere veranstaltete Experteninterviews, in welchen Fachleute der verschiedensten Wissensgebiete und Hochschulen nahezu einhellig gegen die Errichtung einer Naschmarkt-Halle votierten. WienSchauen: → „Halle oder Park für den Naschmarkt?“ Zusammen mit der auch sonst spürbar gewordene Unzufriedenheit der Bevölkerung über die Markthallenidee, erreichten diese Initativen eine Nachdenkphase, die schließlich zu einem „partizipativen Planungsprozess“ führte, dessen Ergebnisse demnächst bekanntgegeben werden sollen. Jedenfalls steht der Wienfluss jetzt wieder auf der Tagesordnung und die Arbeiten am Wientalkanal werden fortgesetzt. ☞ Eine Zusammenstellung, welche z.T. kuriose Vorschläge für das Wiental schon an die Stadt Wien herangetragen wurden, erscheint hier in Kürze.
Wie heiß es im Kanal wirklich ist
Die MA 22 hat das Thema Urban Heat Islands (UHI, „Hitze-Hotspots“) schon seit mehreren Jahren auf dem Radar. Detaillierte Thermalaufnahmen wurden zuletzt 2021 angefertigt: Im Bereich des Rüdigerhofes haben die Steinmauern an sonnigen Hochsommertagen um die 50°C – gemessene 50°C, nicht „gefühlte“!
Dass solche Hitzespeicher für das Mikroklima fatal sind, müssen wir nach dem letzten Sommer hoffentlich nicht mehr erklären. Ansonsten verweise ich hier auf den Artikel Hitzeschneise Wienfluss, welcher dieses Thema ausführlich behandelt.
Beispiel Stadtpark
Dass begrünte Mauern funktionieren, sehen wir im Stadtpark. Dort wuchert der Wein seit quasi eh schon immer und verbirgt „gnädiger Weise“ Bürgermeister Karl Lueger soll beim Anblick des Wienabschlusswerkes geäußert haben: „Nur recht viel Grün, damit man nichts sieht.“ Tatsächlich war dort Großartiges geplant wie im Artikel →Wienfluss-Portal nachgelesen werden kann. das seit über 100 Jahren nicht fertig gestellte Wienfluss-Portal.
Im Winter kommt das Mauerwerk dank natürlicher Entlaubung wieder zum Vorschein und sorgt so für Abwechslung im Laufe der Jahreszeiten. Aus den Pflanztrögen auf den Mauern wächst der Wein nach unten und begrünt diese so, wie wir es auch im heißen Oberlauf des Kanals gerne hätten.
Kurz noch ein Rückblick in die Geschichte dieses Wienflusskanal-Abschnitts: Schlittschuhläufer sollten sich während des Winters hier am Stadtpark im Wienflusskanal tummeln – so war es jedenfalls um 1900 geplant. Die Milchtrinkhalle im Kinderpark Teil des Stadtparkes am rechten Wienflussufer, heutige „Meierei“ wurde 1903 eröffnet. Sie hatte im Untergeschoß Umkleideräume und die heute noch sichtbaren aber mittlerweile zugemauerten Stiegenanlagen zum Wienfluss. So gelangte man bequem zur Sohle und zum Wasser in der warmen Jahreszeit und es wurden sogar Vorkehrungen zum Aufstau der Wien errichtet – aus gestalterischen Überlegungen – aber auch, um das Angebot für das damals in Mode gekommene „Eislaufen“ im Stadtpark zu erweitern.
Radfahren ist, auch wenn das folgende Bild die Fotos entstanden im Rahmen einer angemeldeten Besichtigungstour anderes vermuten lässt, auf der Sohle des Wienflusses stadteinwärts der Kennedybrücke verboten. Das hat einen leicht nachvollziehbaren Grund: Plötzlich auftretende Starkregenereignisse im mehr als 200 km² großen Einzugsgebiet der Wien sind nicht mit Sicherheit prognostizierbar und im Flussbett erst bemerkbar, wenn es zum Flüchten schon zu spät ist. Das zeigt ein Feuerwehreinsatz → Arbeiter aus Wienfluss gerettet (Video) : Drei Arbeiter wurden samt ihren Fahrzeugen von einer Flutwelle überrascht und konnten nur durch einen Großeinsatz gerettet werden.
Freilich wäre ein gepflegter Radweg, der von der Urania bis nach Hütteldorf führen könnte, ein Hit, ist aber erst möglich, wenn durch den Wientalkanal das Hochwasserrisiko verringert ist und entsprechende Fluchtwege verfügbar sind.
Bis es soweit ist, könnten allerdings die Mauern schon begrünt sein. Und gerade weil auch solche „Sofort-Maßnahmen“ eine gewisse Vorbereitungszeit brauchen, sollte damit unverzüglich begonnen werden zumal das BDA im November 2021 angesichts des Klimawandels inzwischen zugestimmt hat . Die nächste Sommerhitze kommt bestimmt!
Siehe auch
Dieser Artikel ist Teil der →Wienfluss Serie
Quellen
Nur recht viel Grün! Das Wienfluss-Portal im Stadtpark, von Dr. Iris Meder
Wiener Umweltschutzabteilung, Magistratsabteilung 22
Bildnachweise
Wienfluss bei Hochwasser, Irmgard Czerny via FragNebenan
Die Hängenden Gärten von Babylon, Unknown author, Public domain, via Wikimedia Commons
Sonstige Farbphotographien Ingo Lantschner, August 2022
Dieser Artikel ist Teil der
Serie Wienfluss
- 28.07.2022
Hitzeschneise Wienfluss
Thermalkarten decken auf: Der Wienfluss bringt keine Kühlung mehr in die Stadt. - 10.08.2022
Die Geschichte des Wienflusses
Vom Gebirgsfluss zur Hitzeschneise. - 21.08.2022
Das Wienfluss-Portal im Stadtpark
Alte Pläne zeigen, wie attraktiv Gewässer mitten in der Stadt gestaltet werden könnten. - 13.09.2022
Vom Kanal zum Flussraum
Überlegungen zu einer zeitgemäßen Flussraumgestaltung - 28.09.2022
Geschichten von der Nevillebrücke
Wird der Verkehrsknotenpunkt noch zum Coolspot? - 20.11.2022
Mehr Grünes für den Kanal!
Die Überlegungen zur Begrünung des Wienflusskanals sind weiter fortgeschritten als allgemein bekannt – sie wären auch rasch umsetzbar. - 17.08.2023
Den Wienfluss-Kanal erfahren!
Wir haben die Strecke für den in Diskussion befindlichen Rad-/Fußweg unten im Wienfluss-Kanal vorab befahren und Erstaunliches entdeckt: Der Wienfluss-Kanal ist bei näherer Betrachtung alles andere als tot, die Perspektiven von unten hoch spannend und von einer einmaligen Ästhetik. - 18.01.2024
Die Auferstehung der Markthalle?
Wer glaubt, die Markthalle am Naschmarkt wäre vom Tisch, muss möglicherweise umdenken. Ein 8 Meter hoher, verglaster Würfel aus Stahl wirft Fragen auf. - 15.09.2024
Wienfluss: Wie vertragen sich Begrünung und Hochwasser?
Kann ein reißendes Gewässer wie der Wienfluss sinnvoll begrünt oder gar zu eiem Erholungsgebiet umgestaltet werden?
Dieser Artikel ist Teil der
Serie Naschmarktparkplatz
- 06.05.2022
Wenn sich die Politik hinterm Würstelstand versteckt
Der Bürgerbeteilungsprozess rund um den Naschmarktparkplatz wird immer bizarrer. - 20.11.2022
Mehr Grünes für den Kanal!
Die Überlegungen zur Begrünung des Wienflusskanals sind weiter fortgeschritten als allgemein bekannt – sie wären auch rasch umsetzbar. - 13.01.2024
Umfrage zur Neugestaltung des Naschmarkt Entrées
Bilder zur Umfrage. - 18.01.2024
Die Auferstehung der Markthalle?
Wer glaubt, die Markthalle am Naschmarkt wäre vom Tisch, muss möglicherweise umdenken. Ein 8 Meter hoher, verglaster Würfel aus Stahl wirft Fragen auf.